Die Vipern von Montesecco
Mary, seine Frau. Sie hatte ihre neunzig Kilo auf einen Stuhl gewuchtet, der vom Kartenspielertisch und von der vorderen Bank gleich weit entfernt stand. Auf dem Fächer, mit dem sie eifrig wedelte, stolzierten rosa Flamingos umher, die genau den Farbton ihres Kleides trafen. Über den oberen Rand hinweg fixierte sie Costanza Marcantoni, die gerade von den Frauen auf der Steinbank begrüßt wurde. Unter der Laterne saß Antonietta Lucarelli und rief ihren Töchtern zu, daß sie den Hund in Ruhe lassen sollten. Paolo stand neben ihr. Mit Brillantine im Haar und einem neuen dunkelgrünen Seidenhemd war er kaum wiederzuerkennen.
Die Marcantonis waren da, Milena Angiolini und sogar Matteo Vannoni. Fast alle befanden sich auf der Piazzetta, man unterhielt sich, blickte auf die Sterne, wartete darauf, daß sich die Luft abkühlte. Es hätte ein Abend wie jeder andere werden können, wenn nicht dem alten Curzio einpaar Fragen im Kopf umhergegangen wären, die er bei passender Gelegenheit anbringen wollte. Da sich aber auch nach einem Dutzend Runden Briscola keine ergeben hatte, schien ihm dieser Moment genauso gut wie jeder andere, und so fragte er ziemlich unvermittelt: »Wie läuft es in der Arbeit, Angelo?«
»Wie soll es schon laufen?« Angelo sammelte die Karten ein, klopfte den Stoß auf der Tischplatte gerade und teilte ihn in zwei Hälften.
»Eine weite Tour gehabt heute?« fragte Curzio.
»Innsbruck«, sagte Angelo. Er begann die Karten zu mischen.
»Ich wußte gar nicht, daß Melli auch ins Ausland fährt.«
»Tut er auch nicht. Melli sitzt im Büro in Senigallia.«
»Ihr rackert euch ab, und der Chef macht sich einen schönen Lenz!«
»Tja«, sagte Angelo. Er teilte jedem drei Karten aus. Einzeln. Gegen den Uhrzeigersinn.
»Der hat sogar das Telefon abgemeldet, nur um nicht gestört zu werden«, sagte der alte Curzio. Er blinzelte ins Licht der Strahler, die Ivan auf dem Dach der Bar installiert hatte. Dutzende von Nachtfaltern umtanzten sie.
»Was?« fragte Angelo.
»Vor einem Monat schon«, sagte Curzio.
Angelo legte den Rest der Karten in die Mitte des Tisches und deckte die oberste auf. Es war die Bastone-Drei. Drei grünlichgelbe Knüppel überkreuzten sich auf abgegriffenem Weiß.
»Bastone ist Trumpf!« Der Americano strahlte übers ganze Gesicht.
»Melli hat Pleite gemacht. Er hat es mir selbst gesagt«, sagte Curzio. Er blickte angestrengt in seine Karten, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Er spielte eine andere Partie.
»Was du nicht sagst!« Angelo versuchte höhnisch zu klingen, doch es gelang ihm nicht.
»Für wen fährst du jetzt, wenn nicht für Melli?«
»Kümmere dich um deinen eigenen Kram!« Angelo warf seine Karten auf den Tisch. Deutlicher konnte man nicht nein sagen. Es gab keine andere Spedition, für die Angelo arbeitete. Er war an jenem Dienstag nicht nach La Spezia gefahren. Er hatte gelogen.
»Was hast du am Tag von Giorgios Tod gemacht, wenn du nicht ...?« fragte Curzio.
»Das brauche ich mir nicht bieten zu lassen! Nicht von dir, wo doch jeder weiß, wie du zu den Lucarellis gestanden hast«, zischte Angelo. Er sprang auf und stürmte davon.
»He, du kannst doch nicht einfach ... Was ist mit dem Spiel?« rief ihm der Americano nach.
Benito Sgreccia hatte das Verhör verfolgt, ohne eine Miene zu verziehen oder ein Wort einzuwerfen, doch jetzt tastete er nach seinem Stock und richtete sich mühsam auf. Er sagte: »Du hättest vorher mit mir reden müssen, Gianmaria.«
»Das hätte an den Tatsachen nichts geändert«, sagte Curzio.
»Er ist mein Sohn«, sagte Benito Sgreccia. Er wandte sich um und verschwand in der Gasse längs der Stadtmauer.
»Hol ihn zurück!« rief Curzio ihm nach. Die Sache mußte geklärt werden. Es waren Fragen gestellt worden, vor denen sich Angelo nicht verstecken konnte. Zumindest nicht in Montesecco.
Der Americano zeigte seine Karten vor. Zwei Trümpfe und das As von Spade. »Die hätten keine Chance gehabt!«
»Nicht die geringste Chance hatten die.« Curzio nickte.
Auf der Piazzetta war es still geworden. Der Americano und seine Frau waren die einzigen, die nicht verstanden hatten, was geschehen war. Daß Angelo Sgreccia für den Tag, als Giorgio Lucarelli gestorben war, ein Alibi erfunden hatte. Und daß es einen Grund dafür geben mußte.
»He, Ivan, Paolo, springt ihr für ein, zwei Runden Briscola ein?« rief der Americano.
Ivan stand in der Tür der Bar. Er winkte ab. Paolo stellte sein Glas auf die Brüstung und sagte:
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