Die Vipern von Montesecco
und nagelten den zuckenden Schlangenkörper fest.
Angelo stützte sich schwer auf den Rechen. Die Viper bäumte sich, streckte sich, ihr Kopf wischte über den Stein, kam bis auf wenige Zentimeter an Angelos Schuhe heran, doch Angelo hielt mit verkrampften Händen fest. Er wandte den Kopf zu den anderen um. Seine Gesichtszüge waren verzerrt, seine Augen sangen vom Töten.
»Halte sie fest!« rief Franco Marcantoni.
»Wir helfen dir!« rief Ivan Garzone.
Der alte Sgreccia ließ das Gewehr fallen und riß Marisa Curzio den Spaten aus der Hand. Doch bevor er bei seinem Sohn angelangt war, hatte dieser den rechten Fuß auf den Kopf der Viper gesetzt. Angelo brüllte auf und drückte nach unten. Alle sahen zu, wie das Zucken des dünnen Vipernschwanzes erstarb.
Angelo ließ den Rechenstiel fahren, als sei er vergiftet. Langsam ging er zurück. Costanza Marcantoni nickte ihm zu.
»Ist das Vieh tot?« fragte der Americano.
»Woher kam die bloß?« fragte Franco Marcantoni.
»Mann o Mann, ich werde verrückt«, brummte Paolo und klopfte Angelo auf die Schulter.
Angelo nahm wieder den Platz vor der Kapelle ein, an dem er vorher gestanden hatte. Er sagte: »Ihr wolltet wissen, warum ich euch verheimlicht habe, daß ich keine Arbeit mehr habe? Weil es nicht wahr ist. Weil es nicht wahr sein kann! Weil ich eine Familie ernähren muß. Meine Familie, Elena, Catia. Und ich kann sie auch ernähren. Das kann mir keiner nachsagen. Da braucht sich auch keiner Sorgen zu machen. Auf euer Mitleid pfeife ich. Ich finde schon Arbeit. Das ist überhaupt kein Problem. Ich mache alles. Ich kann auch alles. Wenn es sein muß, schlage ich sämtliche Vipern Italiens tot. Ich bin ein Mann, verdammt noch mal!«
Am nächsten Morgen schien es, als habe sich der Wind gedreht. Während beim abendlichen Verhör niemand auch nur eine Lira auf Angelo Sgreccias Unschuld gesetzt hätte, gaben sich nun alle, mit denen Matteo Vannoni sprach, vom Gegenteil überzeugt.
»Angelo ein Mörder? Niemals!«
Doch Vannoni ließ sich nicht täuschen. Der Verdacht gegenüber Angelo war nicht ausgeräumt, sondern nur peinlich geworden. Weit mehr als auf Argumente stützte sich die nun demonstrierte Meinung auf eine diffuse Stimmung, der wohl die Befürchtung zugrunde lag, Sgreccia unrecht getan und ihn weit, weit über das hinausgetrieben zu haben, was einem Freund und Nachbarn zugemutet werden konnte. Auf die Treibjagd folgte das schlechte Gewissen. Oder die Bestürzung darüber, wie weit man sich selbst vom Eifer der Hatz hatte mitreißen lassen.
Vannoni kannte das Gefühl von früher, als sie sich unter Genossen zu gegenseitiger Kritik angespornt hatten, die völlig offen und tabulos sein sollte. Doch das war alles Quatsch. Im Grunde hatte man sich nur die eigene Radikalität bewiesen, indem man irgend jemanden, der sich aus irgendwelchen Gründen als Opfer anbot, so rücksichtslos und brutal wie möglich fertiggemacht hatte. Vannoni hattemitgespielt, natürlich, doch nie hatte er es geschafft, sein nachträgliches Erschrecken über die verbale Lynchjustiz zu ignorieren oder als Rest falschen Bewußtseins und kleinbürgerlicher Moralvorstellungen zu denunzieren.
Diesmal war es nicht so. Im Gegensatz zu den anderen hatte sich Vannoni am Abend vorher völlig herausgehalten. Und gerade deshalb konnte er sich einen nüchternen Blick auf die Fakten erlauben. Angelo war keineswegs aus dem Schneider. Vielleicht hatte er sich tatsächlich geschämt, den Verlust seines Arbeitsplatzes zuzugeben, aber das hieß noch lange nicht, daß man ihm seine anderen Beteuerungen ebenfalls abnehmen mußte. Was, außer seinen eigenen Worten, sprach denn dagegen, daß er Giorgio doch auf dem Feld angetroffen, den von der Viper Gebissenen ins Auto geladen, mit ihm gestritten und daraufhin beschlossen hatte, ihn am Gift sterben zu lassen? Ort, Zeit, Umstände – es paßte alles.
Vor allem aber konnte Angelo nicht nur eine gute Gelegenheit, sondern auch ein wunderbares Motiv für einen Mord vorweisen. Nach eigenem Eingeständnis hatte Angelo vermutet, daß Catia etwas mit Giorgio Lucarelli hatte. Je länger Vannoni darüber nachdachte, desto mehr bedauerte er, am vergangenen Abend keine Fragen gestellt zu haben. Er hätte gern gewußt, wie und wann Angelo zu seiner Vermutung gekommen war. Vor allem, wann.
War es nicht seltsam, daß Angelo das Gespräch mit Giorgio genau dann suchte, als Vannoni gerade nach Montesecco zurückgekehrt war? Bestand da ein Zusammenhang? Angelo hatte
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