Die Vipern von Montesecco
Lieferwagen unterwegs«, sagte Sgreccia.
»Das sage ich doch!« sagte Curzio.
»Ich wollte es nur noch mal betonen«, sagte Sgreccia.
»So? Wolltest du?«
»Ja.«
»Und sonst? Willst du sonst noch etwas betonen?«
Benito Sgreccia schüttelte den Kopf.
»Dann ist es ja gut«, sagte Gianmaria Curzio. Er steckte die Karteikarten ein und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Warum bist du nicht mit dem Wagen zur Baustelle gefahren?« fragte Marisa Curzio.
»Weil ich mittags Wein getrunken habe. Ich wollte nicht mehr fahren, habe den Bus Richtung Sassoferrato genommen und bin in Bellisio ausgestiegen.« Paolo wirkte jetzt konzentrierter als zuvor. Das Gift schien ihn noch nicht zu beeinträchtigen. Er besaß mehr Kraft und Zähigkeit als sonst irgendwer in Montesecco, und er schien begriffen zu haben, daß er den Anschuldigungen standhalten mußte, die gegen ihn erhoben worden waren.
»Brauchtest du nicht das Werkzeug aus deinem Lieferwagen?« fragte der Americano.
»Alles Nötige war schon auf der Baustelle«, sagte Paolo.
»Wo stand dein Wagen nachmittags?« fragte Milena Angiolini.
»Auf dem Parkplatz der Pizzeria La Palma am Ortsende von San Lorenzo.«
»Und wieso hast du dich dann nach der Arbeit nicht bis dorthin mitnehmen lassen?« fragte Fiorella Sgreccia. »Der Elektriker ist doch nach San Michele weitergefahren, oder?«
»Ich wollte ein paar Schritte zu Fuß gehen.«
»Von der Kreuzung nach San Vito sind das sicher drei Kilometer, wenn nicht vier«, sagte Marisa Curzio.
»Ja und?«
»Zu Angiolinis Hof ist es von der Kreuzung deutlich näher.«
»Da stand mein Wagen aber nicht.«
»Du bist ziemlich schnell gelaufen, oder?«
»Wieso?«
»Kurz nach neunzehn Uhr kamst du mit der Todesnachricht im Dorf an. In den anderthalb Stunden vorher mußtest du deinen Fiat Ducato holen, zu Angiolinis Hof fahren, dort nach der Pumpe sehen, Giorgios leblosen Körper entdecken, ihn ins Krankenhaus fahren, die Diagnose abwarten und nach Montesecco zurückkehren.«
»Ich habe mich nirgends lang aufgehalten.«
Jedem war klar, daß Paolos Geschichte von vorn bis hinten stank. Schon daß ein Handwerker den Bus nahm, nur weil er ein wenig Wein getrunken hatte, verstieß gegen jede Berufsehre. Und sein Werkzeug führte man immer vollzählig mit sich. Daß Paolo nach einem Tag harter körperlicher Arbeit freiwillig einen kilometerlangen Fußmarsch auf sich nahm, klang absolut lächerlich. Vor allem, wenn er noch nicht einmal Feierabend machen wollte. Man war ja nicht in New York, wo sie in der Mittagspause durch den Central Park joggten.
Das alles war äußerst unwahrscheinlich, mehr als unwahrscheinlich, aber es war nicht unmöglich. Man hatte Paolos Verteidigungslinie weit aus dem Reich der Plausibilität hinausgedrängt, doch man hatte sie nicht durchbrochen. Und solange das nicht glückte, blieb mehr als ein fader Beigeschmack. Dann war es ein unverzeihliches Unrecht, Paolo so aus ihrer Mitte auszustoßen, wie es in diesem Verhör schon geschehen war.
Sekunden und Minuten verrannen. Sekunden und Minuten, in denen sich das Viperngift in Paolos Körper ausbreitete. Giorgio Lucarelli war nach sieben Stunden gestorben, doch im Gegensatz zu ihm war Paolo dreimal gebissen worden, so daß die Giftdosis wesentlich größer sein mußte. Andererseits war Paolo massiger und widerstandsfähiger. Es war schwer zu kalkulieren, wann es für jede Hilfe zu spät sein würde.
Und doch kam es genau darauf an. Beide Seiten wußten, daß die Zeit auslief, und beide setzten darauf, daß die andere Seite zuerst die Nerven verlieren würde. Paolo würde ja wohl auspacken, wenn er merkte, daß es ernsthaft ans Sterben ging. Davon waren die Dorfbewohner überzeugt, während Paolo darauf zählen konnte, daß sie ihn nicht einfach verrecken lassen würden. Er mußte eben so lange durchhalten, bis sie keine andere Wahl mehr hatten, als das Verhör abzubrechen und ihn ins Krankenhaus zu fahren.
Man wartete, man belauerte sich. Und es schien fast, als gewänne Paolo unmerklich an Boden. Daß Unruhe auf der Empore aufkam, wäre zuviel gesagt, doch häuften sich die kleinen Bewegungen, die jede für sich unbedeutend waren, in ihrer Summe aber wachsende Ungeduld signalisierten. Ein Wechseln des Standbeins, ein unwirsches Verscheuchen einer Fliege, ein Zupfen am Ohrläppchen. Die Dorfbewohner waren unzufrieden mit dem labilen Gleichgewicht, das sich eingestellt hatte, sie sehnten eine entscheidende Wendung herbei, ohne eine Vorstellung zu
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