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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Bettlaken, und man selbst hielt ein noch rauchendes Gewehr in den zitternden Händen und fragte sich, woher die Fremdheit rührte, die man keuchend ein- und ausatmete.
    »Was?« fragte Vannoni, doch die Stimme, die sich durch seine Erinnerungen gedrängt hatte, hatte nicht ihn angesprochen.
    »Nein«, sagte Antonietta, »nie. Paolo war hilfsbereit und zuvorkommend, wie Marta gesagt hat. Und er hat mich wohl ein wenig verehrt.«
    »Ein wenig verehrt«, sagte Ivan. »Aber das reicht bei weitem nicht, um ...«
    »Frag ihn!« sagte Vannoni. »Frag Paolo selbst!«
    Paolo saß auf dem Altar, streckte das gebissene Bein aus und zog an seiner Fußspitze, um der Krämpfe Herr zu werden, die den Wadenmuskel verhärteten. Die Haut unterhalb des Knies war stark gerötet. Paolo fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. Er stöhnte laut.
    »Um Gottes willen, jetzt ist es genug!« sagte Marta.
    »Fragt ihn, ob er sie liebt!« sagte auch Milena Angiolini.
    Ivan zögerte.
    »Es ist eine einzige Frage, die mit einem Wort beantwortet ist«, sagte Milena.
    »Und dann holen wir ihn sofort heraus!« Ivan nickte. Er fragte in den Kirchenraum hinab: »Hast du Giorgio sterben lassen, weil du Antonietta ... weil du bei Antonietta freie Bahn haben wolltest?«
    Als wäre sie dazu aufgerufen worden, schlängelte sich eine ungewöhnlich helle Viper langsam aus dem Schutz einer Kirchenbank.
    »Liebst du sie so, daß du nicht ertragen konntest, daß sie mit einem anderen zusammen war?« fragte Ivan.
    Vor den drei Schlangenkadavern im Mittelgang erstarrte die Viper in ihrer Bewegung.
    »Sag, daß das nicht wahr ist!« forderte Ivan.
    Die gespaltene Zunge der Viper tastete auf zerquetschtes Fleisch zu.
    »Sag einfach, daß dir Antonietta egal ist!« bat Ivan.
    Die Viper züngelte noch einmal und setzte sich wieder in Bewegung. Achtlos schob sie sich über die zerstampften Rümpfe der toten Schlangen.
    »Ein paar Worte nur, Paolo!« flehte Ivan. »Sie ist dir egal, nicht? Ein Wort nur! Sag einfach ja, und alles ist vorbei.«
    Die Viper wand sich durch den Mittelgang nach vorn. Auf dem Altar kauerte Paolo. Er atmete schwer. Er hättenur ja sagen müssen. Ein Wort, eine Silbe, zwei Laute, doch er vermochte es nicht. Er brachte das Wort nicht über die Lippen. Jeder wußte, was das bedeutete. Auch Ivan. Er ließ sich auf die Knie hinab, faltete die Hände vor der Brust und preßte die Stirn gegen die Holzbrüstung. Marta krallte die Hand in seine Schulter.
    Paolo sagte: »Jahrelang habe ich mir Giorgios Tod gewünscht. Wenn nachts die Glocken irgendwo einen Brand meldeten, bin ich aufgewacht und habe gehofft, daß er gerade in den Flammen umkommt. Wenn bei einem Sommergewitter die Blitze niederfuhren, habe ich die Daumen gedrückt, daß ihn einer erschlägt. Und noch am Abend vorher, als wir in der Bar über die Vipern sprachen, habe ich stumm gebetet, daß er kopfüber in ein ganzes Nest von ihnen fällt. Am nächsten Morgen bin ich ihm aufs Feld nachgefahren, weil er mich gebeten hatte, ihn über Vannoni auf dem laufenden zu halten, aber eigentlich, weil ich ahnte, daß etwas geschehen würde. Und genauso war es. Die Viper, die ihn gebissen hatte, lag noch da. Während ich sie unter Steinwürfen begrub und Giorgio an ihre Stelle wünschte, wurde mir klar, daß das Schicksal, das jahrelang über mein Flehen gelacht hatte, nun plötzlich einlenkte. Ich allein hätte ihn nie umbringen können, aber nun schien alles mit mir zu sein. Der Schlangenbiß, der mir die Gewalttat abgenommen hatte, der Tod, der schon in seinem Körper saß, er und ich allein auf dem Feld, im Dorf Vannoni, der sich in seinem Haus verkroch und als erster verdächtigt werden würde, wenn jemand einen Mord vermuten sollte. Ich konnte gar nicht anders. Die Steine, die Gräser, die brennende Sonne, alles flüsterte mir zu: Tu es, tu es, tu es! Selbst Giorgio hatte erstaunt ›du?‹ gefragt, als wisse er, daß er jetzt nicht mehr zählte, daß mein Tag gekommen war, der große Tag in meinem Leben, den ich nur nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. Es fiel mir nicht schwer, Giorgio in den Laderaum meines Lieferwagens zu locken, er dachte sich nichtsdabei, als ich die Tür verschloß, er merkte nicht, daß ich ihn statt zum Krankenhaus zum verlassenen Hof der Angiolinis fuhr. Und selbst als ich den Wagen dort in der Scheune abstellte und das Tor verrammelte, hatte er noch nicht begriffen, was geschah. Als ich am Abend zurückkehrte, war er tot.«
    Paolo hielt

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