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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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ein Schmetterling, der über Blüten tanzt.
    Er war glücklich. Er schloß die Augen und stellte sich vor, wie sie mit ihrem Zeigefinger die Linien seiner Lippen nachfuhr. Er hörte, wie sie »Paolo« sagte. Nichts weiter, nur seinen Namen.
    Eine Welle von Krämpfen lief von den Waden durch seinen Körper. Er stöhnte. Er riß die Augen auf. Er mußte überleben. Gerade jetzt, da er endlich mit ihr gesprochen und sie ihn nicht ausgelacht hatte. Er hatte einen Grund zu leben, ein Ziel, eine große Liebe. Nichts konnte ihm etwas anhaben. Jetzt nicht mehr.
    Der Schlüssel lag drei Meter vor ihm. Bis zur Kirchentür waren weitere sieben, acht Meter zu überwinden. Dazwischen lauerten vierundsechzig mordlüsterne, giftspritzende Vipern, doch er hatte keine Angst mehr. Sie würden ihn nicht beißen. Weil er überleben mußte. Weil alles so werden würde, wie es sein sollte. Er stützte sich mit den Händen auf und ließ sich vom Altar gleiten. Sein linkes Knie knickte unter dem Gewicht seines Körpers ein, doch es gelang ihm, sich auf den Beinen zu halten. Alles würde ihm gelingen.
    Er schwankte ein wenig, schob vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Die Vipern flohen zur Seite. Vor seinen Schritten wichen sie zurück und verkrochen sich unter den Bänken. Er fühlte sich sicher, selbst als er sich auf die Knie sinken lassen mußte, um den Schlüssel aufzunehmen. Durch sein Bein stachen tausend glühende Lanzen, doch er richtete sich wieder auf.
    Sein Puls raste. Seine linke Hand umkrampfte den Schlüssel. Die rechte spürte er nicht mehr, doch das machte nichts, denn da war schon die Kirchentür, und er konnte den Schlüssel genausogut mit der linken Hand drehen. Notfalls hätte er es auch ganz ohne Hände geschafft, nur mit seinem Willen, denn der war stark wie nie. Der Wille versetzte Berge.
    Er drückte den Ellenbogen auf die Klinke. Die Tür sprang auf, und er wankte hinaus. Die Hitze sprang ihn wütend an, doch er fiel nicht, er blieb nur kurz stehen, lehnte sich an das Kirchenportal und hörte dem Keuchen zu, das in so kurzen, heftigen Stößen aus seinem Mund schoß, daß er dazwischen kaum mehr Zeit zu atmen fand.
    Eine Viper kroch über die Kirchentürschwelle. Sie züngelte am Türstock entlang und überquerte in schnellen Windungen die menschenleere Piazzetta. Die wollte noch anderes vom Leben, als in einer düsteren Kirche zu verrecken. Das verstand er nur zu gut. Er stieß sich von der Mauer ab und taumelte nach rechts hinüber zum Eingang der Bar. Er wischte den Fliegenvorhang zur Seite. Die Tür dahinter war geschlossen. Es war wohl noch zu früh, um die Bar zu öffnen. Und zu heiß. Der Schweiß rann ihm aus allen Poren. Mit der linken Faust hämmerte er gegen die Tür.
    »Ivan!« Die Stimme, die da rief, hörte sich verzerrt an. Fremd, doch irgendwo hatte er sie schon gehört.
    »Marta!« Möglicherweise war es seine eigene Stimme.
    »Ivan! Marta!« brüllte er.
    Sie waren nicht da. Sonst hätten sie ihn auf jeden Fall hören müssen. Wahrscheinlich waren sie einkaufen. Das war Pech. Nein, er hatte kein Pech. Er war vom Glück auserkoren, er war der glücklichste Mensch der Welt. Und das machte ihn stark. Ein paar Vipernbisse konnten ihm gar nichts anhaben. Da lachte er doch nur. Er stöhnte.
    Er stolperte an der Kapellenmauer entlang, torkelte um die Ecke. Weiter unten saß der Americano vor seinem Haus. Durch die Gasse wehte ein sanft kühlender Hauch herauf. Das war gut, denn in ihm brannte alles. Die Lunge ein Hochofen. Die Leber, die Milz, die Nieren nichts als rote Glut. Er leckte sich über die Lippen. Sie waren rissig wie in der Hitze geplatzte Erde.
    Der Americano stand auf und wandte sich der Haustür zu.
    »He, warte!« Es war die gleiche Stimme wie vorher. Es mußte seine eigene sein.
    »Was ist?« fragte der Americano.
    »Ruf im Krankenhaus an! Sie sollen das Serum bereitstellen.« Nur das Lallen ließ die Stimme fremd klingen. Seine Zunge war etwas schwer geworden. Hatte Mühe, die richtigen Laute zu formen.
    »Das würde ich gern, Paolo«, sagte der Americano, »aber es geht nicht. Das Telefon ist noch abgemeldet. Wegen der drei Monate, die ich hier bin, zahle ich doch nicht das ganze Jahr Grundgebühr. Mit Ab- und Anmelden komme ich günstiger weg, das habe ich mir ausgerechnet. Aber es dauert dann halt immer ein paar Tage, bis sie es wieder anschließen, selbst wenn ich von den Staaten herübertelefoniere und ihnen Feuer unterm Hintern mache. Tut mir leid, Paolo.«
    Er ließ den

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