Die Virus-Waffe
Hause war. Die erste Nach-
richt, die auf seinem Bildschirm auftauchte, stammte von
Murphy. Darin erklärte er, dass er den Morgentermin
nicht schaffen konnte. Das überraschte Nicholson nicht
sonderlich, weil er keine Ahnung hatte, wo in Amerika
Murphy gerade steckte. Aber er hatte kein Problem mit
Murphys Vorschlag, sich erst um sechzehn Uhr zu treffen.
Das gab ihm sogar mehr Zeit, Murphys Empfang in
Browntown besser vorzubereiten. Nicholson schickte eine
kurze Bestätigung, stieg wieder in seinen Wagen, fuhr zu
einer anderen Telefonzelle und wählte dieselbe Nummer,
unter der er vorhin angerufen hatte. Anschließend kehrte
er nach Hause zurück.
Einige Stunden später verließ er sein Haus erneut. Er
fuhr zu dem Treffen, das er arrangiert hatte. Er hatte sei-
nen Posteingang noch einmal kontrolliert, weil er auf eine
Antwort von Levy wartete. Der tippte seine Antwort auf Ni-
cholsons Anfrage gerade in dem Moment in seinen Com-
puter, als der CIA-Mann von seinem Grundstück fuhr. Le-
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vy hatte von seinen Kontaktleuten nur erfahren, dass nach
einer Schießerei im Westteil der Insel zwei Männer tot auf-
gefunden worden waren. Die kretische Polizei suchte of-
fenbar nicht nach einer weiteren Partei. Zum jetzigen Zeit-
punkt hatte Levy keine Ahnung, um wen es sich bei den
Toten handelte, aber angeblich waren beide Amerikaner.
Hätte Nicholson Levys Mail rechtzeitig bekommen, hät-
te er vielleicht gefolgert, dass es sich bei den Toten um
Stein und Murphy handeln könnte, und wäre besser auf
seine bevorstehende Begegnung in dem sicheren Haus
vorbereitet gewesen. Aber Levys Mail traf erst ein, nach-
dem Nicholson losgefahren war.
Browntown, Virginia
Das sichere Haus lag mitten im ländlichen Virginia, am
nördlichen Ende des Shenandoah-Nationalparks am Rand
von Browntown. Richter vermutete, dass man das Haus vor
allem deshalb ausgewählt hatte, weil es von Washington
und Langley rasch über die Interstate 66 zu erreichen war.
Von Richters Standort aus vierhundert Metern Entfer-
nung wirkte es wie ein typisches, kleines Landhaus. Der
Feldstecher half nicht viel. Es sah genauso aus, nur viel grö-
ßer.
»Wir können verdammt lange warten, Paul«, erklärte
Westwood. »Es ist noch nicht mal zehn.« Die beiden Män-
ner lagen nebeneinander am Rand eines kleinen Gehölzes
und beobachteten das Haus durch Feldstecher.
Sie waren sofort losgefahren, nachdem Westwood die
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E-Mail an McCready losgeschickt hatte, ohne dessen Ant-
wort abzuwarten. Richter war sicher, dass die Person, die
sich hinter dem Decknamen McCready versteckte, nicht zu
dem sicheren Haus fahren würde, bevor Murphy Zeit und
Ort für das Rendezvous bestätigt hatte. Dagegen war es wich-
tig – und darin waren Richter und Westwood sich einig –,
dass sie bereits vor Ort waren, bevor jemand anders eintraf.
Sie mussten einschätzen können, mit wie vielen Gegnern sie
es zu tun hatten, bevor sie ihre Strategie entwarfen.
Richter hatte den geheimen Server über Murphys Note-
book angewählt, bevor Westwood seinen Chrysler eine
halbe Meile hinter dem sicheren Haus abstellte. Er hatte McCreadys Bestätigung heruntergeladen, in der er ankündigte, dass er um sechzehn Uhr dort sein würde. West-
wood parkte seinen Voyager gut sichtbar in einer kleinen
Straße. Er erklärte Richter, dass im Wald versteckte Autos
immer weit verdächtiger wirkten als ein Fahrzeug, das ein-
fach nur auf der Straße abgestellt war. Dann waren sie zu
Fuß weitergegangen, bis Westwood das Dach des sicheren
Hauses hinter einigen Baumwipfeln sah. Erst dann verlie-
ßen die beiden Männer die Straße und gingen zu dem
kleinen Gehölz hinauf.
»Denken Sie an frühe Vögel, Würmer und dergleichen,
John«, antwortete Richter jetzt. »Außerdem ist es ein schö-
ner Tag. Wir sind mit Sandwiches, einer Thermoskanne
voll Kaffee und zwei Feldstechern bewaffnet. Sollte nie-
mand auftauchen, können wir wenigstens unsere Kennt-
nisse in Ornithologie aufbessern.«
»Wunderbar.« Westwood klang weder begeistert noch
überzeugt.
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Fast vier Stunden lang passierte gar nichts. Sie sahen ei-
nen Haufen Vögel, etliche Kaninchen und ein paar Eich-
hörnchen und wurden von einer interessanten Auswahl an
Insekten gebissen und gestochen. Einige sahen sie, die
meisten blieben jedoch unsichtbar.
Zu Anfang beobachteten sie beide das Haus. Dann
wechselten sie sich ab, weil es kaum etwas Langweiligeres
gibt, als durch einen
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