Die Virus-Waffe
aus demselben Material herausplumpste. Er
sah wie getrockneter Schlamm aus und landete in der Mit-
te des Kofferdeckels.
»Was ist das?«, wollte Spiros wissen.
»Keine Ahnung.« Nico stieß mit der Spitze eines
Schraubenziehers gegen den Klumpen. Der Brocken zerfiel
bei der ersten Berührung sofort zu graubraunem Staub.
»Drogen?«, fragte Spiros hoffnungsvoll. Er nahm etwas
von dem Pulver zwischen Zeigefinger und Daumen und
roch daran.
»Weiß ich nicht. Es könnte Heroin sein. Angeblich sind
einige sehr reine Varianten braun.«
Nico beugte sich vor und schnupperte an dem Puder. Es
roch fast nach nichts, vielleicht eine Spur nach Pilzen. Er
befeuchtete eine Fingerspitze, tauchte sie vorsichtig in den Rand des Häufchens und leckte daran. Sofort verzog er das
Gesicht und spie aus. »Das ist kein Heroin!«, beklagte er
sich. »Was auch immer es ist, es schmeckt widerlich.«
»Das war es dann ja wohl«, knurrte Spiros. »Ab in den
Müll damit.« Er warf die beiden Teile der zersägten Fla-
sche in den Stahlkoffer, schloss den Deckel und klappte
den Verschluss zu. »Ich habe fünf Tage an dieses Flug-
zeugwrack verschwendet und stehe jetzt mit leeren Hän-
den da.«
Nico zuckte mit den Schultern und betrachtete seinen
Onkel. »Wenn du willst, versuche ich, den Koffer zu Geld
zu machen.«
»Nimm ihn nur, nimm ihn!«, brummte Spiros. »Und
nimm den Rest von diesem Müll auch gleich mit.« Er öff-
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nete den Koffer noch einmal, legte die drei restlichen Fla-
schen in die Fächer zurück, warf den roten Ordner hinein
und schlug den Deckel zu.
Zehn Minuten später verließ Nico das Haus seines Onkels
und ging das kurze Stück zu seiner Dreizimmerwohnung.
Sie lag in dem zweigeschossigen Haus eines Freundes und
war über eine Außentreppe zu erreichen. Das Haus selbst
lag am nördlichen Ende des Dorfes. Während Nico durch
die menschenleeren Straßen ging, in denen nur ein paar
verwilderte Katzen lautstark um ihre Territorialrechte
stritten, wurde der Koffer allmählich immer schwerer in
seiner Hand.
Nach dem, was Spiros ihm erzählt hatte, musste der
Koffer lange unter Wasser gewesen sein, mindestens meh-
rere Jahre. Es war unwahrscheinlich, dass sich jetzt noch
jemand dafür interessierte. Außerdem war es letztlich nur
ein Stahlkoffer, obwohl er speziell für diese merkwürdigen
Flaschen entworfen worden war. Diese Behälter waren ei-
ne ganz andere Sache. Er hatte immer noch keine Ahnung,
worum es sich bei dem braunen Pulver handelte, aber es
musste für irgendjemanden wertvoll gewesen sein. Sonst
hätten die besondere Versiegelung und die Verschlüsse der
Flaschen keinen Sinn gemacht. Und wenn es wertvoll war,
bestand die Möglichkeit, dass jemand danach suchte.
Nico blieb am Ende der Straße stehen und dachte eine
Weile nach. Vielleicht war es das Beste, mit dem Koffer
und seinem Inhalt genauso zu verfahren wie mit den meis-
ten anderen Beutestücken, die Spiros im Lauf der Jahre
dem Mittelmeer entrissen hatte. Wenn er ihn einfach mit
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nach Hause nahm, brachte er sich vielleicht nur in Schwie-
rigkeiten. Andererseits war es spät und er war müde. Er
konnte ihn noch morgen früh irgendwo anders verstecken.
Er nickte und bog nach rechts ab. Drei Minuten später
öffnete er die Tür seiner Wohnung, trat ein, stellte den
Stahlkoffer auf den Boden seiner Garderobe im Schlaf-
zimmer und marschierte direkt ins Bad.
Spiros Aristides stellte die Werkzeugkiste nur rasch hinter
die Küchentür, ging ins Wohnzimmer zurück und blickte
gereizt auf den kärglichen Rest Scotch am Boden seiner
Whiskyflasche. Was soll’s?, dachte er. Er würde zwar mor-
gen nicht tauchen können, aber er hatte sowieso nicht hi-
nausfahren wollen. Er setzte sich an den Tisch und schenk-
te sich noch ein Glas Whisky ein. Er würde die Flasche lee-
ren und dann schlafen gehen.
Als Spiros Aristides zwanzig Minuten später den letzten
Rest Whisky getrunken hatte und sich vollkommen ange-
zogen auf sein ungemachtes Bett legte, nieste er einmal
herzhaft. Eine Dreiviertelstunde später setzte sich Nico
Aristides auf den Rand seines Bettes in seiner Wohnung
im ersten Stock am Nordende von Kandíra. Und nieste
ebenfalls.
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Dienstag
Kandíra, Südwestkreta
Christina Polessos war achtundsiebzig Jahre alt und hatte
fast ihr ganzes Leben in Kandíra verbracht. Sie war von der
Sonne ausgedörrt und trug immer nur Schwarz, beinahe
die Nationalfarbe der Kreter, zum
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