Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Stroh ab und steckte ihn wieder in den Gürtel.
»Nun?« fragte er mit eben dem Triumph in der Stimme, den er Tage zuvor nach der Höllenfahrt durch Köln verspürt hatte, und hielt seine offene Pranke hin.
»Später bekommst du deinen Lohn«, zischte Lazarus angewidert.
»Was wollt Ihr?« fragte der Kutscher verdutzt. »An der Degenwunde wäre er ohnehin verreckt. Alle Achtung, Ihr versteht es, tödliche Wunden zu versetzen.«
Stumm sattelte Lazarus mit den geübten Händen des Feldsoldaten sein Pferd und schwang sich hinauf. »Greife dir eine Hakenbüchse und suche dir das schnellste Pferd. Wir müssen verschwinden, bevor die anderen Söldner eindringen.«
»Und die Ladung? Unser Reisekarren?« protestierte der Fuhrmann. »Nie habe ich auch nur die geringste Fuhre im Stich gelassen. Kein Straßenräuber hat mich bislang vom Weg abgebracht oder erleichtert. Schon gar nicht um die Waren eines so vornehmen Kaufherrn wie van Geldern einer ist. Meinen Frachtlohn erhalte ich nur, wenn ich den Wagen sicher in Antwerpen abliefere.«
»Dein vornehmer Kaufherr würde es dir nicht vergelten. Der hier«, Lazarus machte eine Kopfbewegung zu dem toten Söldner hin, »ist gekommen, um uns beide mit dem Himmel vertraut zu machen bevor wir nach Antwerpen kommen.«
»Ich dachte, nur du solltest ...« Der Kutscher brach ab. Lazarus betrachtete ihn aufmerksam. »Dein Dolch sollte also auch über meine Kehle gleiten?« fragte er trocken.
»Nein, das hätte ein anderer erledigt. Ein Matrose auf dem englischen Kanal«, stieß der Knecht hervor. »Aber verflucht, Ihr habt recht, wenn van Geldern bereit war, einen töten zu lassen, warum nicht gleich zwei. Er muß seine Pläne geändert haben. Laßt uns abhauen.«
Er lief zu einem Grauschimmel, dessen schlanke Fesseln das Reittier verrieten, und erklomm es unter einigen Mühen. Lazarus wendete sein Tier zum offenen Stalltor, wollte ihm die Sporen geben, als zwei Söldner ihm den Weg versperrten. Grimmig betrachteten sie ihren toten Hauptmann im blutigen Stroh.
»Teufel noch mal!« schimpfte der Kutscher. »Wie viele davon gibt es noch?«
Einer der Söldner riß seine Büchse plötzlich hoch und legte an. Lazarus erkannte den Schwefelgestank, den die Lunte verbreitete, und richtete sich im Sattel auf. »Ein Schuß, du Tor, ein Funken, und du jagst uns alle in die Luft. Der Wagen dort ist bis zum Rand mit Pulver beladen. Ich rate dir, nicht zu feuern, wenn dir dein Leben lieb ist.«
Verwirrt ließ der Mann das Feuerrohr sinken und wollte nach seinem Schwert greifen. In diesem Moment hieb Lazarus seinem Pferd die Hacken in die Flanken und preschte mit gestreckten Hufen vor, hielt auf die Männer beim Eingang zu, die verblüfft zur Seite sprangen und auch den zweiten Reiter passieren ließen, der lachend auf den Hof jagte. Wenige Meter nur, und das Tor war erreicht.
Noch immer lachte der Kutscher grölend, als eine doppelte Salve die Geräusche der Nacht übertönte. Die Kugeln sausten wie wütende Bremsen auf sie zu, die Pferde der Flüchtenden stiegen gleichzeitig hoch. Ein harter Schlag drohte Lazarus aus dem Sattel zu heben, brennender Schmerz breitete sich in seinem Brustkorb aus, nahm ihm den Atem. Ihm blieb keine Zeit nachzudenken. Keine Zeit, einen weiteren Blick auf den Fuhrknecht zu werfen, der mit starrem Blick vom Pferd rutschte und mit offenen Augen im Kot des Hofes liegenblieb. Lazarus beugte sich über den schlanken Hals seines Pferdes, flüsterte etwas, und das Tier schien zu verstehen, es beruhigte sich und fand in gestrecktem Galopp seinen Weg aus dem Hof. Mit aller Kraft krallte Lazarus sich in die Zügel, preßte seine Beine in die Flanken und hielt sich so auf dem Rücken des Tieres. Der Lärm im Hofe verebbte hinter ihm. Er lockerte seinen Griff an den Zügeln, das Pferd verfiel in gleichmäßigen Trab. Als auch der Druck von Lazarus’ Schenkeln auf seinen Flanken nachließ, verlangsamte das Pferd weiter sein Tempo. Sein Reiter verspürte eine Welle von Wärme, dann überkam ihn Übelkeit und das Bedürfnis zu schlafen. Die Dunkelheit vor seinen Augen war tiefer als die Dunkelheit der Nacht, und Lazarus glaubte den knöchernen Finger von Gevatter Tod auf seiner Schulter zu spüren. Nun also holt er mich, dachte er grimmig, jetzt, da ich ihn nicht mehr suchte, ihn nicht mehr herausfordern wollte. Er schloß die Augen. Kraftlos sank er von seinem Pferd in eine tiefe schwarze Ohnmacht.
3
E s war der Tag vor dem Fest des heiligen Apostel Matthias. Morgen
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