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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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Bräutigam und erfüllte Arndt van Geldern mit einer Abscheu, die an Haß grenzte.
    »Selbst die Mitgift, die mir ja in jedem Falle zusteht«, greinte sein feister Zechkumpan zum wiederholten Mal, »vermag mich kaum darüber hinwegzutrösten, daß mein Täubchen mir diese Schmach antat. Vor allen Leuten, vor so vielen Menschen.«
    »Die Euch kaum kennen«, warf van Geldern trocken ein und erhob sich aus seinem Lehnstuhl, um sich die Hände am Feuer zu wärmen und dem Anblick des völlig aufgelösten Trinkers zu entkommen, der mit offenem Hemd und herabhängender Halskrause dasaß.
    »Mich kaum kennen?« heulte der Junker auf. »Alle wissen von mir. Zweimal wurde der Aufruf zur Hochzeit bereits getan, dazu die Verlobung, der Kuß vor Zeugen. So vornehme Zeugen.« Er verdrehte die Augen zu der prachtvoll getäfelten Decke des Morgensaals.
    »So vornehm, daß sich keiner von ihnen das Maul zerreißen wird. Faßt Euch, werter Freiherr van Ypern, noch ist nicht alles verloren.«
    Er dachte an das nachmittägliche Gespräch mit der Schaffnerin. »Faßt Euch«, hatte auch sie beim Treffen im Chorumgang gesagt, »Ihr werdet Eure Tochter noch in dieser Woche wieder bei Euch haben. Der Konvent wird nicht mehr lange bestehen. Ich verspreche Euch, daß Ihr noch am Montag, vielleicht sogar morgen schon, die Erlaubnis des Kurfürsten-Erzbischof erwirken könnt, Columba aus dem Konvent zu holen.«
    »Dafür muß ich schwerwiegende Gründe angeben«, hatte van Geldern mißtrauisch erwidert.
    »Geht Ihr nur am Morgen zur Messe und betet. Den Rest will ich besorgen, schon bald werdet Ihr in großem Glanz dastehen, reicher und mächtiger als je«, hatte die Schaffnerin geheimnisvoll gesagt, dann war sie verschwunden.
    Unerträgliches Weib, es gefiel ihm nach wie vor nicht, mit einer Hure im Einvernehmen zu stehen. Die nörgelnde Stimme seines künftigen Schwiegersohnes holte ihn in die Gegenwart zurück.
    »Ihr glaubt, daß nicht alles verloren ist? Was könnte mich wohl trösten, mir mein Leid noch lindern?« Er schenkte sich nach und schwieg, um zu trinken.
    Van Geldern konnte ihm unmöglich von seinen Verhandlungen mit der Begine berichten, also versuchte er die Gedanken des derben Flamen in eine ganz andere Richtung zu lenken.
    »Mit kühlem Verstand werdet Ihr bald erkennen«, warf er ein, »daß Euer Verlust so groß nicht ist.«
    Der Freiherr richtete sich schwankend in seinem Stuhl auf und ließ seinen schweren Oberkörper nach vorn auf die Tischplatte fallen. »Kühler Verstand? Wie könnt Ihr in einer solchen Angelegenheit von Verstand reden? Es geht um die Liebe. Nichts ist schmerzhafter für einen Mann, nichts verwundet ihn mehr, als verschmäht zu werden von der Dame seines Herzens. So steht es in jedem Ritterroman.« Er stieß auf und bekämpfte einen drohenden Schluckauf mit einem weiteren Becher Wein.
    »Ihr könnt Euch wieder verlieben«, bemerkte der Kaufmann spöttisch, »vielleicht sogar weit heftiger, und wenn Ihr Glück habt, noch einmal gewinnbringend. Eine doppelte Mitgift müßte selbst einen gefühlvollen Mann wie Euch trösten können.«
    Der Junker runzelte die Stirn. »Wieder verlieben? Niemals. Unmöglich. Keine gleicht Eurer Tochter Columba. Diese Haare, dieser Mund, diese herrlichen blauen Augen.«
    Vollends verärgert fuhr der Kaufmann herum. »Sie sind braun, werter Mann, braun wie der Pelz meines Mantelkragens. So blind macht selbst die heftigste Liebe nicht, daß man das übersehen kann.«
    Betreten schwieg der Freiherr für eine Weile und versuchte, sich an das Gesicht der Verlorenen zu erinnern. Vergebens, ein ganz anderes tauchte vor ihm auf, wohl deshalb, weil er nicht der Mann war, der sich ernsthaft von einem treulosen Weibsbild demütigen ließ. Der Gedanke gefiel dem Freiherrn.
    »Vielleicht«, lallte er endlich, »habt Ihr recht, guter, verehrter Schwiegervater. Wenn ich es mir recht überlege, ist da eine Frau, die ich durchaus mag. Sie hat blaue Augen und herrlichstes Haar.«
    »Von wem sprecht ihr?«
    »Von Eurer ältesten Tochter Juliana. Das Lautenspiel ließe sich ihr doch wohl abgewöhnen?«
    11
    L azarus schlug beim ersten Licht des Morgens die Augen auf. Der Geruch von Rosmarin und Lavendel stieg ihm in die Nase. Er wollte einen kräftigen Atemzug tun, doch die Luft strich ihm scharf wie eine Klinge über den linken Lungenflügel. Mit schmerzverzerrtem Mund schob er sich hoch, blinzelte und erkannte neben sich in einem hohen Lehnstuhl die unruhig schlafende Tringin.
    Lazarus

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