Die Visionen von Tarot
Widerspruch.“
„Nein!“ rief Jesus. „An heiligen Orten darf keine Korruption geduldet werden. Habe ich vielleicht die Geldverleiher aus dem Tempel geworfen, nur um durch eine solche Situation beleidigt zu werden? So darfst du nicht scherzen, Paul!“
Bruder Paul breitete die Hände aus. „Ich bin weder gern ein Spaßmacher noch ein Lügner. Tut mir leid, wenn dich das betrübt, aber ich kann und will meine Ahnen nicht verleugnen.“
Jesus/Lee wandte sich ihm mit sonderbarem Blick zu – Unglaube, der sich zu Zorn verwandelte. „Das werden wir ein andermal besprechen.“ Dann wandte er sich ab, und Bruder Paul spürte ein kaltes Gefühl im Innern, als habe sich etwas zurückgezogen, als habe jemand eine bereits angebotene Freundschaft für nichtig erklärt. Bruder Paul hatte gedacht , gegenüber einer derartigen Reaktion gefeit zu sein, merkte aber, daß es weh tat. Lee war ein so intelligenter, aufrechter, klarer Charakter – wie konnte er nur bewußt ein solcher Rassist sein? Wie brachte er dies mit seinem Bild von Jesus in Einklang, der allen Menschen die Erlösung verhieß, ungeachtet ihrer Abstammung oder früherer Sünden?
Dann erkannte er das Reaktionsmuster: Ähnlich wie bei jemandem, der merkt, daß sein Tod bevorsteht. Zuerst Unglaube, dann Wut. Lees Mormonenreligion verdammte die schwarze Rasse. Die Erkenntnis, jemand, der ihm nahestand, habe schwarzes Blut, wie wenig auch immer im Vergleich zu den weißen Ahnen – das war grundsätzlich unerträglich.
Es würde seine Zeit brauchen, bis Lees Gefühle wieder ins reine kämen, insbesondere, weil seine Rolle als Jesus kaum etwas anderes duldete. Aber Bruder Paul fürchtete, einen Freund verloren zu haben.
Jesus schoß plötzlich nach unten, und Bruder Paul korrigierte den Kurs, um ihm zu folgen. Sie flogen hinab, auf die Westküste des Doppelkontinents von Amerika zu. Schneller und schneller: zehntausend Kilometer pro Stunde, fünf zehntausend, zwanzigtausend und immer noch schneller. Jesus dampfte aber wirklich ab! Fünfundzwanzigtausend … „He, ich glaube, bald haben wir Erdrotationsgeschwindigkeit!“ warnte Bruder Paul. Aber Jesus wurde eher noch schneller, mehr als dreißigtausend Kilometer pro Stunde – und nun glitten sie auf das nur noch hundert Kilometer unter ihnen liegende Land zu. Neunzig Kilometer. Achtzig. Jede Sekunde verloren sie mehr als zehn Kilometer. Aber Jesus flog weiter.
Sie fingen sich kurz über dem Meer, flogen waagerecht weiter und näherten sich bald den Küstenbergen. Plötzlich ragten die Gipfel hoch vor ihnen auf und rasten bedrohlich auf sie zu – und Zeit, die Geschwindigkeit herabzusetzen, hatten sie nicht. Doch diese Formen besaßen nur wenig Masse. Bruder Paul schoß der verrückte Gedanke durch den Kopf, daß ihre extreme Geschwindigkeit die Masse vergrößerte, weil Beschleunigung bis zur Lichtgeschwindigkeit die Masse eines Objekts bis ins Unendliche verstärkt. Jesus schoß direkt auf die Berge zu, ohne langsamer zu werden, und Bruder Paul mußte ihm folgen. Aber was würde geschehen, wenn …
CRASH!
„Und es ereignete sich im vierunddreißigsten Jahr … daß sich ein großer Sturm erhob … und die gesamte Oberfläche des Landes veränderte sich unter dem Sturm und den Wirbeln und dem Donner und Blitzen, und ein großes Erdbeben erschütterte die ganze Erde … und viele große und berühmte Städte versanken, und viele verbrannten und viele wurden so in Erschütterung gebracht, bis die Gebäude zu Staub versanken, und die Einwohner wurden getötet, und die Stätten blieben leer … Und es geschah, daß über allem Land sich dichte Dunkelheit legte … und diese dauerte drei
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