Die Visionen von Tarot
Venus, Merkur und der Mond, und gelangte zum Rand des Purgatoriums. Gern hätte er mit einigen Seelen im Himmel gesprochen, fürchtete aber, jedwede Verzögerung würde seine andere Mission in Gefahr bringen. Er wollte nicht, daß Jesus länger als irgend notwendig in der Hölle schmorte.
Das Purgatorium war jedoch viel kühler und nüchterner. Die Atmosphäre wirkte fade, die Schatten waren tief; knorrige Bäume erstreckten sich stumm gen Himmel. Er spürte, wie sich um sein Herz eine schwere Masse legte. Hier gab es keine Engelschöre.
Dies war die siebte Ebene: die Spitze eines rauhen Berges, Wohnsitz der Lust. Hier brauchte er nicht länger zu verweilen, nur um die Geister wahrzunehmen. Er kannte bereits das Unheil, welches aus blinder Lust resultiert.
Dann sah er einen Wagen oder eine Kutsche an einem Baum stehen. Aus dem Himmel stürzte ein riesiger Adler herab, der anscheinend etwas angriff – einmal, zweimal – sich jedoch im letzten Augenblick abfing, und über die Karosse hinweg stieben Federn auf. Im Boden öffnete sich ein Spalt, und daraus kletterte ein Drache. Der Schwanz des Ungeheuers schwang hin und her und zerschlug den Wagen, wirbelte Federn auf und ließ nur Trümmer hinter sich.
Aber ach! Die Karosse setzte sich wieder zusammen. Aus jedem Teilstück regenerierte sich ein Tier: groteske Ungeheuer, geflügelt, gehörnt, mit Schlangenkörpern und wild. Und auf dieser halblebendigen Plattform erschien eine Frau, wohlgestaltet, gewappnet mit kühnem Blick, die werbend um sich blickte. Ihr Blick fiel auf Bruder Paul. Sie schenkte ihm eine einladende Handbewegung und zeigte auf den Wagen neben sich. Sicher eine Prostituierte, gespielt von derjenigen, die diese Rolle immer spielte: Denn hier befanden sie sich im Kreis der Lust.
Dieses Mal fühlte sich Bruder Paul nicht versucht. Aber gerade, als sie ihm winkte, erschien neben ihr ein riesiger Mann, ein richtiger Riese. Er begann, die Hure zu küssen, und sie fiel ihm in den Arm – blickte jedoch gleichzeitig weiterhin Bruder Paul an. Der Riese folgte dem Blick, sah Bruder Paul und runzelte die Stirn, wobei er nun dem Ungeheuer Apollyon ähnelte. Er wollte wohl direkt von der Karosse herabspringen und den vermutlichen Rivalen angreifen, doch Bruder Paul wich rasch zurück. Hier verschwendete er ohnehin seine Zeit. Dann nahm der Riese eine Peitsche mit auf den Ungeheuerteil des Wagens und fuhr ihn ein Stück weit fort. Sobald die Tiere unterwegs waren, wandte er die Peitsche gegen seine Gespielin und schlug wild auf sie ein. Bruder Paul ging weiter. Wenn er seine Mission beendet hatte, wollte er die Commedia lesen und herausfinden, wer diese Leute waren und was diese kleine Szene zu bedeuten hatte.
Er überquerte den Lethe, wobei er die flachste Stelle, die er finden konnte, durchwatete. Er hütete sich, auch nur einen Tropfen zu trinken. Das wäre das letzte, nun seinen Auftrag zu vergessen! Dann schritt er fort durch die wüstere Wildnis, wobei er darauf achtete, daß sein Rechner alle Seelen aufzeichnete. Das war hier völlig anders als im Paradies! Es gab nicht allzu viele offene Folterungen, abgesehen von einer Gruppe von Nackten, die durch ein Feuer gingen, aber er sah viel Elend. Die Gierigen im siebten Kreis litten an Hunger; den Geizigen war nicht die geringste Bequemlichkeit gegönnt; die Faulen standen in permanenter Untätigkeit herum – und waren gelangweilt. Die Stolzen, unten im ersten Kreis, trugen schwere Steine einen Hang hinauf.
Wenn dies nur das Purgatorium war – wie sah dann bloß das Inferno aus? Nun, er würde es kennenlernen.
Bruder Paul kam an eine Stelle, wo sich Satans riesige Bilder hochreckten. Aber es war
Weitere Kostenlose Bücher