Die Visionen von Tarot
nicht einmal ein Christ! Was suchst du in einer christlichen Hölle?“
Der Mann lächelte verzerrt und vergaß für einen Augenblick die Schmerzen. „Du weißt es vielleicht. Ich vielleicht auch. Aber Allah scheint darüber eine andere Meinung zu haben.“ Er hielt inne, um einen Teil der Eingeweide hineinzustopfen. „Natürlich ist Dante selbst in der moslemischen Hölle, wie es einem Ungläubigen auch zukommt. Vielleicht …“
„Paul!“
Bruder Paul wirbelte bei diesem Ruf herum. „Jesus!“
Es war ein entsetzlicher Anblick. Der Dämon hatte ihn in Form eines Kreuzes geschlagen und Lungen, Herz, Leber und einen Teil einer Niere bloßgelegt. „Was tust du hier, Paul? Ich dachte, ich hätte dich gerettet?“
Bruder Paul schüttelte sich beim Anblick dieser grauenhaften Wunden, und aus dem Schock wurde bodenlose Wut. „Niemand kann mich verschonen außer ich selbst! Ich bin nicht der Sünder, für den du mich hältst – und wenn ich es bin, dann büße ich für meine Sünden. Niemand kann mir das abnehmen!“
Jesus verstummte. „Vielleicht kann ich vermitteln“, schlug Mohammed vor. „Ich habe an eurem Streit kein direktes Interesse.“
„Wer bist du?“ fragte Jesus.
„Ich bin Mohammed, der Prophet Allahs.“
„Ich glaube, ich kenne dich nicht.“
Mohammed lächelte – ein etwas schauderhafter Anblick, da er immer noch sein Gedärm festhielt. „Natürlich nicht, Prophet, ich kam sechshundert Jahre nach dir.“
„Prophet? Das verstehe ich nicht …“
„Ich nenne dich so, weil ich dich als solchen ansehe. Es gibt in der Geschichte der Menschen viele Propheten, und du warst … ein großer. Aber die letztendliche Prophezeiung stammt von mir.“
„Nun, vielleicht wechseln wir das Thema“, schlug Bruder Paul vor.
„Nein, dieser Mann interessiert mich“, entgegnete Jesus.
„Es gibt nichts Besseres als eine anständige philosophische Diskussion, um sich von den körperlichen Problemen abzulenken. Bitte erzähle mir von dir, Prophet Mohammed!“
Bruder Paul verstummte. Was diese Männer im Augenblick am meisten brauchten, war wohl Erleichterung von den Schmerzen – und während sie sich unterhielten, konnte er sich eine überzeugendere Möglichkeit überlegen, Jesus hier herauszubekommen.
„Gern, Prophet Jesus. Ich wurde in Mekka geboren – du kennst es vielleicht als Mekkeh oder unter einem anderen Namen, und zwar 570 Jahre nach deinem Tod. Das Datum ist nur geschätzt, denn der Kalender wurde verändert, und Irrtümer kamen vor. Mein Vater starb vor meiner Geburt, und meine Mutter folgte sechs Jahre später. Daher wuchs ich bei Verwandten auf.“
„Du hattest keinen Vater?“ fragte Jesus.
„Wenn man so will“, entgegnete Mohammed, „ist Allah letztendlich unser aller Vater, doch ein Mensch braucht einen Menschenvater, einen, der einen beschützt und einem den Unterschied zwischen Gut und Böse beibringt.“
„Richtig“, stimmte Jesus zu. „Darüber soll man nicht spotten.“
„Damit er nach der Zeit in der Gebärmutter, wenn sein Leben noch ein Nichts ist, hinauswandert und man ihm zeigt, wie er beim Gott der Menschen Zuflucht findet vor dem bösen Willen des listigen Verräters, der sich in die Herzen der Menschen einschleicht.“
„Das Übel Satans“, stimmte Jesus zu. „Du sprichst die Wahrheit, Prophet.“
Mohammed wollte gerade die Achseln zucken, zuckte aber insgesamt zusammen, weil sich die Eingeweide bewegten, und hielt in der Bewegung inne. „Ich rede nur, um die Menschen auf den rechten Weg zu weisen, den Weg im Sinne Allahs.“
„Hast du … geheiratet? Wie bist du gestorben?“
„Ich heiratete als junger Mann von fünfundzwanzig Jahren“, sagte Mohammed. „Sie war eine reiche Witwe, fünfzehn Jahre älter als ich, aber eine
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