Die Visionen von Tarot
bereits auf dem Weg. Die drei schwärmten aus und suchten in einer Landschaft, die noch vor wenigen Minuten für sie Metropolis gewesen war – und es wieder werden würde, sollte die Animation zurückkehren. Eile tat not.
Zuerst fanden sie Therion. Er saß unter einem Baum und sah müde aus. „Da habt ihr Leute aber eine Szene ausgekocht“, rief er.
„Ich habe das nicht arrangiert“, protestierte Lee. „Ich habe nur die Rollen gespielt, die mir der Regisseur zugeschoben hat. Einige waren diabolisch – daher hatte ich angenommen, sie stammten von dir.“ Er lächelte dabei nicht.
„Ihr beiden kommt wohl nicht gut miteinander aus“, meinte Bruder Paul.
„Nur wenige von uns kommen mit rivalisierenden Sekten gut aus“, gab Lee zu. „Das ist das Problem dieser Kolonie. Es ist überall auf Tarot das Gleiche; unser Dorf ist durchaus typisch. Überall leben wir mit nur schlecht verhülltem Mißvergnügen beieinander. Dieser Mann ist Anhänger des gehörnten Totenkultgottes – den wir Satan nennen würden.“
„Oh, ein Teufelsanbeter“, rief Bruder Paul. „Das erklärt vieles!“
„Der Gehörnte Gott war groß, ehe unsere zeitgenössischen Emporkömmlinge auftauchten“, beharrte Therion, der mit ihnen ging. „Ihr nennt ihn Satan – aber das ist ignorante Eitelkeit. Er ist ein Gott und vielleicht der wahre Gott von Tarot.“
„Sakrileg!“ rief Lee. „Der Prinz des Unheils!“
„Hör mal, Mormone, deine eigene Sekte ist auch nicht gerade pingelig!“ schnappte Therion. „Eine ganze Religion, die auf einem plagierten Märchen basiert …“
Lee wirbelte zu ihm herum, aber Bruder Paul warf sich dazwischen. „Verbietet nicht euer Vertrag offene Kritik am Glauben des jeweils anderen?“
„Diesem Vertrag habe ich mich nie verpflichtet gefühlt“, erwiderte Therion. „Jedenfalls finde ich nicht an all diesen heuchlerischen Kulten etwas Schlimmes. Zum Beispiel diese Sache mit der Polygamie – das ist doch ganz schön lustvoll. Ein Mann nimmt sich dreißig, vierzig Weiber, bumst sie alle der Reihe nach – und nennt es Religion!“
„Ich habe keine Frauen“, entgegnete Lee steif.
„Weil es nicht genug weibliche Mormonen auf diesem Planeten gibt und in diesem Dorf keine, die nicht gebunden wäre. Aber wenn es welche gäbe, du hättest sie, das kann ich dir versprechen!“
„Das ist eine rein akademische Frage“, wehrte Lee ab.
„Aber wenn es das nicht wäre“, beharrte Therion, „wenn du die Chance hättest, so viele junge, schöne, sexy, gesunde Frauen zu heiraten, wie es physisch nur möglich ist – wie viele würdest du dir dann nehmen?“
„Eine“, antwortete Lee. „Polygamie ist eine Möglichkeit, kein Zwang. Eine einzige Frau ist, wenn sie die Richtige ist, mehr wert als hundert falsche. Ich werde die Richtige heiraten.“
„Gut, du bist ein Heuchler“, sagte Therion. „Ich wünschte, ich könnte die hundert Falschen herbeizaubern und es dir zeigen …“
Die weitere Diskussion wurde abgeschnitten, weil sie Amaranth trafen. Sie stand, benommen wirkend, neben einem kleinen Bach. „Amaranth“, rief Bruder Paul, getroffen von ihrer Schönheit, nachdem er nunmehr Gelegenheit gehabt hatte, ihre Reize unverhüllt zu erblicken. (Hatte er das wirklich …) Es hieß, daß Kleider den Mann ausmachen, doch treffender mußte es eigentlich heißen, daß ein Kleid erst eine Frau ausmacht. „Komm, ehe die Animation zurückkehrt.“
Sie sah ihn offensichtlich verdutzt an. „Ich weiß nicht … ich kenne meine Rolle nicht. Bin ich immer noch die Wahrsagerin?“
Sie war wirklich verwirrt. „Nein“, sagte Bruder Paul. „Wir sind wieder in der richtigen Welt. Du brauchst keine Rolle mehr zu spielen.“
„Sie spielt aber immer
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