Die Visionen von Tarot
weiterzugehen. Für diesen Fehler war sein zu großes Selbstvertrauen verantwortlich – auch eine Lektion. Er hatte nur sich selbst zu fürchten!
Bruder Paul stieg aus dem Wasser. Ein Stück weiter führte eine Treppe auf eine Plattform, die von drei Seiten durch einen weiten Bogengang umgeben war. Am anderen Ende befand sich eine Messingtür, eingelassen hinter einer kleinen, gedrehten Säule in Form eines Löwenmauls. Die Zähne hielten einen Metallring. Das war alles, was er in dem Dämmerlicht ausmachen konnte.
Vor der Tür blieb er stehen. Es war kalt, und er zitterte. Wenn er erst wieder trocken war, konnte er die Kutte wieder anlegen, und es würde ihm besser gehen. Aber nun gingen eine nach der anderen die fernen Lampen aus. Der Widerschein der letzten fiel über das Wasser und verlöschte dann ebenfalls. Wieder stand er vollkommen im Dunkeln.
Wenn er versucht hätte zurückzugehen, um eine jener Lampen mitzunehmen – hätte er es rechtzeitig geschafft? Wenn sie alle nur wenig Brennstoff hatten, hätte ihm keine lange genützt, und die Dunkelheit hätte ihn im Wasser erwischt. Leicht hätte er sich verirren und in tieferes Wasser gelangen können, wo vielleicht etwas lauerte …
Hinter ihm in der Düsternis erklang eine Stimme. „Sohn der Erde, Stehenbleiben heißt Vergehen. Hinter dir liegt der Tod, vor dir die Errettung.“
Bruder Paul war noch nicht wieder trocken, beschloß aber, die Stimme beim Wort zu nehmen und ohne Kleider weiterzugehen. Er streckte die Hand aus und fand die Tür. Dieser Ring in dem Löwenmaul – war das ein Griff? Oder eine Falle? Wenn er daran zog, würde sich die Tür öffnen, oder würden die Zähne seine Hand umfangen?
Nun, das konnte er ausprobieren. Er schüttelte seine Robe auseinander, band sie zu einer länglichen Schnur und zog sie vorsichtig durch das Loch. Dann hielt er beide Enden fest und zerrte einmal kräftig daran.
Unter ihm öffnete sich eine Falltür. Er fiel herab – und blieb an dem Kleidungsstück hängen! Wieder einmal hatte er die Situation unterschätzt. Solche Fehler konnte er sich nicht mehr oft leisten.
Nun, weiter. Er zog sich an seinem Kleiderseil hinauf. „Es ist leichter für einen Strick, durch ein Nadelöhr zu gelangen als …“ murmelte er und dachte an die jahrhundertealte Verwirrung, die durch eine simple Fehlübersetzung in der Bibel entstanden war, indem man den Begriff Kamelhaarseil schlichtweg mit Kamel übersetzt hatte. Dann schwang er die Füße an den Rand und ging zurück auf die Plattform. Wäre sein Körper nicht in so guter Kondition gewesen, wäre dies ein schwieriges oder sogar unmögliches Manöver geworden. Er gewann auf dem festen Boden seine Balance wieder und zog die Kutte aus dem Ring. Gut, daß dieser wenigstens fest verankert gewesen war.
Dann hörte er, wie sich die Falltür wieder schloß. Nun öffnete sich die Messingtür und warf einen Lichtstrahl in die Halle. Dort stand nun Therion, der Thesmothet, mit einer hellen Fackel. „Komm, Postulant.“
Bruder Paul folgte ihm durch eine Reihe von Gängen, die durch verschlossene Türen voneinander getrennt waren. Bei jeder Tür murmelte Therion ein bestimmtes Passierwort und gab ein heimliches Zeichen, und die Tür öffnete sich.
Während einer dieser Pausen glitt Bruder Paul wieder in seine Kutte. Nun fühlte er sich sicherer. Endlich waren die Prüfungen vorbei!
Schließlich gelangten sie in ein Gewölbe. Bruder Pauls Orientierungssinn verriet ihm, daß es direkt unterhalb der Großen Pyramide in den Felsen gehauen sein mußte. Dies war die Kammer, die auch die Archäologen niemals entdeckt hatten. Die Wände bestanden aus poliertem Stein und waren mit symbolischen Bildern bedeckt. In jeder
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