Die Visionen von Tarot
Ecke stand eine bronzene Statue: ein Mensch, ein Bulle, ein Löwe und ein Adler. Von der hohen Decke herab hing ein kostbarer Leuchter. Bruder Paul bemerkte, daß die Lichtstrahlen zwischen den Statuen und von der Deckenlampe zusammen den Umriß einer Pyramide bildeten: fünf Ecken, wenn man die Spitze mitzählte.
In der Mitte befand sich ein riesiger silbernen Tisch, und auf diesem Tisch standen zwei Kelche, zwei Schwerter, zwei Münzen, Zepter und Lampen. Die vier Symbole des Tarot mit den notwendigen Lampen, um in diesem sonnenlosen Raum alles zu beleuchten.
Therion wandte sich ihm zu. „Sohn der Erde, ich brauche nur das Zeichen zu geben, und du wirst lebendig in die unterirdischen Tiefen stürzen, um bis zum Ende deiner Tage das Brot der Reue zu essen und das Wasser des Zorns zu trinken. Aber wir sind nicht hartherzig – alles, was wir von dir verlangen, ist dein feierlicher Eid, daß du niemals irgend jemandem auch nur das geringste Detail dessen enthüllen wirst, was du in dieser Nacht gesehen und gehört hast, und dann sollst du frei sein. Willst du diesen Eid schwören?“
Das war wohl vernünftig. Eine Geheimgesellschaft würde nicht lange geheim bleiben, wenn sie keine derartigen Vorsichtsmaßnahmen traf. Aber Bruder Pauls Mission verlangte von ihm, sein Wissen auch draußen kundzutun. „Ich werde es nicht tun“, sagte er.
Ungläubig starrte ihn Therion an. „Das war eigentlich als rhetorische Frage gedacht, Postulant. Es gibt nur eine Antwort.“
„Nicht für mich.“ Hätte er das alles auf sich genommen – für nichts?
„Vorsicht, Postulant! Trotz wird mit dem Tode bestraft!“ Und es ertönte ein bedrohliches Grollen, als die Deckenlampe verlöschte. Der Raum wurde nun lediglich durch die zitternden Kerzen hinter den Statuen beleuchtet.
„Meine Information kann niemandem nützen, wenn sie geheim bleiben muß“, sagte Bruder Paul ungerührt.
Therion deutete auf die Kelche auf dem silbernen Tisch. „Dann mußt du dich noch dieser Prüfung unterziehen“, rief er. „Ein Kelch enthält ein todbringendes Gift, der andere ist harmlos. Wähle einen aus ohne nachzudenken und trink ihn aus.“
Bruder Paul trat auf den Tisch zu, nahm den rechten Kelch und trank ihn in einem Zug leer.
Therion lächelte. „Ich habe dich versuchen wollen“, sagte er. „Beide Getränke waren harmlos.“
Was sich auch Bruder Paul gedacht hatte. Ein reiner Glückstest wäre sinnlos gewesen – um Mut, nicht um Leben oder Glück ging es hier.
„Edler Suchender“, sagte Therion nun. „Du hast alle Prüfungen bestanden. Nun bist du geweiht, die Weisheit der Alten zu teilen. Die Magie besteht aus zwei Elementen – dem Wissen und der Kraft. Ohne Wissen kann die Kraft nicht vollständig sein, und ohne eine bestimmte Kraft kann niemand zu Wissen gelangen. Lerne leiden, damit du gleichmütig wirst; lerne sterben, um unsterblich zu werden; lerne dich zügeln, um zum Ziel deiner Wünsche zu gelangen: Das sind die ersten drei Geheimnisse, die der Magus 1ernen muß, um ein Hohepriester der Wahrheit zu werden. Zwölf Jahre lang muß er bei uns studieren, um zu einem Meister zu werden, wie es Moses der Jude tat und Plato der Grieche …“
„Zwölf Jahre?“ fragte Bruder Paul.
„Für den Anfang. Danach erst beginnt die richtige Erziehung.“
„Ich kann aber keine zwölf Jahre warten“, protestierte Bruder Paul. „Ich kann nicht einmal zwölf Wochen warten! Ich brauche sofort die Antwort.“ Ehe seine Zeit heranrückte, wenn er wieder zurück zur Erde verfrachtet würde. Die Materieübertragung würde nicht wegen eines einzelnen Mannes aufgeschoben!
„Das ist unmöglich“, erwiderte Therion bestimmt.
„Dann muß ich so gehen.“
Therion machte eine
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