Die Visionen von Tarot
so vielen konventionellen Akten, die durch konventionelle Faktoren verzerrt werden, war dies höchst unbedeutend. Das College hatte sich selbst getäuscht, indem es ein Dokument der Mittelmäßigkeit anstatt ein Dokument der Genauigkeit angelegt hatte. Durch die Akte würde das Gute, was ihm im College widerfahren war, niemals bekannt.
Paul las zu Ende und schloß die Akte. Er war nachdenklich geworden. Es handelte sich also doch nicht um das Werk des Teufels, sondern um das Werk von unvollkommenen Menschen. Vielleicht war das größte Scheitern auch das subtilste: In all diesem Sumpf von Statistiken, Prüfungsergebnissen – ja, es gab sie wirklich! – und Kommentaren war es den Behörden irgendwie gelungen, das Wichtigste von ihm völlig außer acht zu lassen. Wenn ein Fremder diese Aufzeichnungen las, würde er nichts über Pauls Fähigkeiten oder Charakter erfahren. Hier war er unbeschreibbar, besaß weder Persönlichkeit noch großes Potential.
Er hatte zu jener Zeit gewußt, daß einige Lehrer (darunter zu Pauls Bedauern auch Will Hamlin) in ihm, Paul, nichts Vielversprechendes sahen. Vielleicht würden sie auch sein heutiges Leben nicht als bezeichnend für ‚Erfolg’ ansehen. Er hatte damals vermutet, der Grund läge darin, daß sie sich nicht wirklich Mühe gaben, ihn zu begreifen, und wenn sie sich die Mühe gegeben hatten, besaßen sie einfach nicht die Intelligenz, ihre Arbeit richtig auszuführen. Die Sache mit dem Normenkontrollkomitee hatte bewiesen, auf welcher Ebene sie menschliche Werte beurteilten. Paul war auf unkonventionelle Art intelligent und in konventionellen Termini gleichgültig. Mit den üblichen Normen war er nicht leicht zu bewerten. Die Aufzeichnungen bestätigten dies: Sie stellten sie dar und nicht ihn.
„Übertragung“, sagte er.
„Was?“ fragte Carolyn.
Plötzlich befand er sich wieder in der Gegenwart, wie sie gerade war. Er hatte dem Kind einen komplexen Begriff hingeworfen. „Übertragung. Das ist, wenn eine Person ihre Gefühle oder Handlungen auf eine andere überträgt. Wenn man jemanden nicht leiden kann, kann man sagen: ‚Diese Person haßt mich.’ Wenn man sich müde fühlt, sagt man: ‚Sie haben diese Stufen zu steil angelegt.’ Es ist die Art, mit bestimmten Dingen so umzugehen, die man bei sich selbst nicht erkennen will. Man lastet sie einfach jemand anderem an.“
„Wie bei Voodoo?“ fragte sie aufgeweckt.
„Hmm. Nein. Du denkst daran, wie man Nadeln in Puppen steckt, und die Person, für die die Puppe steht, wird verletzt?“
„Ja. Vielleicht tut es der Puppe auch weh. Meiner würde es weh tun.“
Natürlich hatte sie Mitleid mit der Puppe. Wie schwer es war, die Falle zu meiden, in die er hier hineingestolpert war, nämlich es zu schaffen, den Lernenden kennenzulernen und somit auch seinen Erfolg beurteilen zu können. „Das ist nicht eigentlich das gleiche. Andererseits …“ Was denn – war nicht die gesamte Akte wie eine Voodoo-Puppe? Die College-Verwaltungen und Institutionen der gleichen Art in der ganzen Welt dachten, wenn sie dieses Dokument ‚Paul’ nannten und die Nadeln ihrer geheimen Meinungen über ihn hineinsteckten, könnten sie definieren, wie er war. Nun, vielleicht hatte es sie damals befriedigt. Im nächsten Jahr waren neue Studenten gekommen, und er wurde vergessen, im Aktenschrank begraben. Die Ironie lag darin, daß sein Fall ohne Zweifel typisch nicht nur für die Studenten an diesem College war, sondern für alle Studenten an allen Universitäten. Die große Mehrheit von ihnen blieb gewiß unbekannt. Keiner erlangte einen besonderen Status – und auch die Institutionen nicht. Und die Leute wunderten sich,
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