Die Visionen von Tarot
Paul und hatte den Ordner geöffnet.
Bald bereute er es. Ja, Pandora! dachte er. Pandora war das Mädchen gewesen, das die Büchse geöffnet – (war sie eine andere Inkarnation Evas?) und dabei alles auf die Welt losgelassen hatte, wobei sie nur eines zurückhielt: die Hoffnung. Paul hatte nun auch die Hoffnung fahren lassen. Denn die gehätschelten Ideale seiner Collegezeit, die die Probleme der Campuspolitik wie auch schlechte Lehrer und fragwürdige Ausschließungen überdauert hatten, wurden nun als Illusionen enthüllt.
Zunächst einmal: Die Akte enthielt Zensuren! Klassifizierungen zwischen A, B und C, und zwar genau von dem Typus, den das College nach außen hin niemals anwendete. Oh, es gab auch umschriebene Beurteilungen, aber eine jede wurde am Ende mit einer Buchstabenklassifizierung versehen, von der gleichen Art, wie man sie bei Computerisierungen, die auf allen anderen Schulen üblich waren, manipulieren konnte. Aber an anderen Schulen wurden die Klassifizierungen offen bekanntgegeben; jeder Student wußte genau, wo er stand. Hier hatte man alles heimlich aufgestellt, so daß der Student nicht nur über seine Position im unklaren blieb, sondern überhaupt nicht wußte, daß man ihn derart beurteilt hatte. Das war ein wettbewerbsmäßiger Nachteil, der sich auf das gesamte weitere Leben auswirken würde. Als ob man Poker spielte, und jeder andere konnte einem in die Karten sehen, nur man selber nicht. Bruder Paul kannte sich im Poker nur allzugut aus, und die Analogie quälte ihn. Hier stand seine Botschaft in fremder Sprache, und von allen Parteien, die ihm hätten den Inhalt verdeutlichen können, hatte dies nur eine getan: der Heilige Orden der Vision. So hatte er das schreckliche Geheimnis mehr oder minder durch Glück entdeckt. „Alma Mater, wie konntest du mir das antun?“ schrie er mit einem Gefühl, als bräche ihm das Herz.
Zu Anfang der Abschrift fand er eine Bemerkung, die besagte, das College zöge es eigentlich vor, keine Zensuren zu erteilen, sei aber wegen der Anforderungen von außen dazu gezwungen. Eine weitere Notiz warnte den Leser, es dem Betroffenen keinesfalls zu gestatten, diese Akte zu lesen. Kein Wunder!
Paul hatte die Lehrpläne mehr oder minder naiv durchlaufen: vier Jahre lang ohne Angst vor Zensuren oder Status. Das war das Schöne an dieser Zeit gewesen. Er hatte sich sein Wissen eklektisch gesucht, um des Lernens willen – und nun war es durch diese Heuchelei zunichte gemacht worden.
Nein, nein – das war ein ungerechtes Urteil. Die zensurenlose Umgebung hatte ihn zu einer besonderen Disziplin gezwungen. Es war leicht, in Stagnation zu versinken, wenn man nicht unter dem Druck von Prüfungen und Zensuren stand. Eine ganze Reihe von Studenten hatten sich so verhalten und waren allmählich aus den Kursen herausgefiltert worden. Andere hingegen betrachteten es als Herausforderung – zu lernen, davon zu profitieren und sich zu entwickeln, ohne einen offiziell strukturierten Stimulus. Und wenige, wie auch Paul, hatten statt dessen die reine Freude am Lernen entdeckt. Das Wissen von Fakten war ein Weg, der zur Erkenntnis selbst führte. Eine Zensur an sich bedeutete nichts – es war die Haltung dazu, auf die es ankam.
Dieser Prozeß war kaum beendet gewesen, als Paul das College verließ. Er hatte beim Verlassen dieser schützenden Umgebung ernste Probleme gehabt, wie es seine Erfahrung mit der Mnem-Droge gezeigt hatte. Aber der Grundstein war gelegt, und nach einiger Zeit hatte er weiter daran gebaut, und nun lernte er jedes Jahr mehr als in seiner gesamten Collegezeit. Das war keine
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