Die Visionen von Tarot
lang.
„Du bist also wieder da!“ bemerkte der Akolyth des Gehörnten Gottes. „Ferien vorbei, wie?“
Was war nur mit Carolyn geschehen? Bruder Paul war nicht verheiratet und hatte auch keine Tochter, dessen war er sicher. Daher konnte sie auch nicht verlorengegangen sein. Aber er war sich auch über Carolyns Realität sehr sicher. Zu jener Zeit … in zehn Jahren … in der Zukunft …
Nun, um die Zukunft müßte er sich Sorgen machen, wenn sie zur Gegenwart würde. „Was hast du vor?“ fragte er den Mann. Therion neckte ihn natürlich, da Therion auch bei der letzten Bildersequenz eine Rolle gespielt hatte.
„Du hast dir andere Religionen und andere Philosophien angesehen, darunter auch deine Vorstellung von pädagogischen Institutionen, und du hast an allem Mängel gefunden“, sagte Therion. „Durch Eliminierung gelangtest du allmählich zu einem christlichen Gott. Aber hast du den Mut, dir deinen Jesus und seinen Kult ebenso skeptisch anzusehen wie die anderen?“
Eine ernsthafte, aber notwendige Herausforderung. „Ich muß fair bleiben.“ Bruder Paul stimmte zu.
„Auch wenn dein Sohn Gottes ein irrender Sexist war?“
„Was?“ fragte Bruder Paul irritiert.
„Er hatte es mit Männern. Am Beginn seiner Mission ging er zu seinem Vetter Johannes dem Täufer und scharte dann zwölf Männer um sich als Schüler. Warum keine Frauen? Oder war das einfach nur die Dienerklasse, die man nicht ernst zu nehmen brauchte?“
„Natürlich nicht!“ bellte Bruder Paul. Aber dann hielt er inne. Warum hatte es eigentlich keine weiblichen Apostel gegeben? „Das mußt du schon verstehen – zu jenen Zeiten hielt die Kultur die Frau auf einer untergeordneten Ebene, besonders wenn es um die Religion ging.“
„In christlichen Gegenden, ja“, gab Therion zurück. „Aber nicht bei den Heiden. Der Gehörnte Gott liebt die Frauen. Die Tempel quollen über von Priesterinnen, und sie wurden in keiner Weise beschränkt.“
Alles nur zu wahr. Für Therion lag die letztendliche Er füllung einer Frau darin, wenn sie Tempelprostituierte oder - mutter war, die Verführerin der Männer. Darüber brauchte man sich mit ihm nicht zu streiten. „Jesus war Jude. Er hatte nicht die Freiheit, alle Konventionen seines Volkes außer Kraft zu setzen. Man hätte ihn viel früher umgebracht, wenn er weibliche Schüler gehabt hätte, und dann wäre die Botschaft niemals durchgedrungen.“ Diejenigen, die eine Botschaft verkündeten, deren Zeit noch nicht reif war, mußten immer leiden. Paul hatte diesen Rückschlag selbst gespürt, als er den freien Umgang zwischen Jungen und Mädchen auf dem College verteidigt hatte. Wie gut er das verstehen konnte! „Die Umstände haben ihn gezwungen …“
„Den Männern die Verheißung zu predigen und nicht den Frauen“, beendete der andere in schneidendem Ton für ihn den Satz.
„Jesus hat aber die Frauen geehrt“, beharrte Bruder Paul. „Einige haben für ihn missioniert …“
Therion zeigte sein spöttisches Grinsen. „Zum Beispiel?“
„Die Frau vom Brunnen zum Beispiel“, zählte Bruder Paul auf. „Sie hat unter den Samaritern über Jesus gesprochen und ihre Verwandten und Freunde zu ihm gebracht, damit sie ihn sahen, und viele wurden bekehrt …“
„Die Frau vom Brunnen“, wiederholte Therion, als sei dies ein besonders sonderbares Beispiel. „Glaubst du wirklich, damit irgend etwas zu beweisen?“
„Ja. Es steht in der Bibel.“
Therion sprang von der Bibel herab. „Dann sieh mal nach in deinem guten Buch – und lies zwischen den Zeilen.“ Er hob den Umschlag auf wie einen Sargdeckel. Die Seiten glitten von selber um, durch das Alte Testament, langsamer werdend im Neuen Testament … Matthäus …
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