Die Visionen von Tarot
Markus … Lukas … Johannes … Kapitell … 2 … 3 … 4 …
„Nun ließ Jesus Judäa hinter sich und kam wieder nach Galiläa.“ Therion las laut und mit übertriebener Betonung. Um die Bibel herum bildete sich die Landschaft jener Zeit. Zuerst war die Szenerie so verschwommen wie aus einem Flugzeug betrachtet – nein, nicht wieder das! –, festigte sich dann aber. Es war, als holperten Kameras auf Lastwagen über eine Landstraße, wobei die riesige Bibel diesen Lastwagen bildete. Es gab ein Feld und einen Brunnen.
„Er war durch das Land der Samariter gekommen“, fuhr Therion fort. Die riesige Bibel verschwamm und wurde zu einem Stein. „Er näherte sich einer Stadt mit Namen Sychar in der Nähe eines Feldes, das Jakob seinem Sohn Joseph gegeben hatte, und dort war auch Josephs Brunnen.“
„Ja“, sagte Bruder Paul. Er vertraute darauf, wenn es darum ging, Stellen aus der Bibel zu zitieren, könnte er jede Herausforderung dieses Mannes annehmen. „Das ist die Stelle. Die Samariter waren ein gemischtes Volk aus vielen östlichen Ländern, die von den Assyrern nach Israel gebracht worden waren, nachdem die Juden selber verschleppt worden waren. Sie brachten ihre eigenen religiösen Riten mit, aber als sie unter Plagen zu leiden begannen, bekehrten sie sich zum Judentum, heirateten jüdische Frauen und behaupteten, von Abraham und Moses abzustammen. Darüber waren die eigentlichen Juden verärgert, und die Beziehungen zwischen den beiden Kulturen verschlechterten sich. So war es von einiger Bedeutung, daß Jesus eine Samariterfrau traf und sie bekehrte, wenn sie auch einen schlechten Ruf genoß. Er vergab ihr ihre Sünden …“
„Das will uns zumindest der gereinigte Text glauben machen“, sagte Therion. „Diese Samariter waren wild darauf, von den Juden akzeptiert zu werden, auf was für eine Weise auch immer. Hör zu, was wirklich geschehen ist.“
Über das Feld kam ein Mann, angetan mit einer fließenden weißen Tunika, die mit einem staubigen blauen Tuch zusammengebunden war. Die Stoff menge war notwendig, um die brennende Sonne abzuhalten. Er trug einen Bart und ein weiches Tuch über dem Kopf, aber sein Gesicht glänzte vor Schweiß. In sonderbarer Doppeltheit war er vertraut. „Lee!“ rief Bruder Paul, schlug sich aber dann auf den Mund.
„Keine Sorge“, meinte Therion. „Er ist voll in seiner Rolle und kann nicht heraus, wie sehr sie ihn auch ärgern mag, bis wir ihn daraus entlassen. Du und ich werden von anderen nicht wahrgenommen, nur voneinander, wir sind wie die Geister.“
Das war nur ein Teil von Bruder Pauls Betroffenheit. Wenn andere einem Individuum eine Rolle aufzwingen konnten und die Person dies für eigenen Willen hielt … dann waren die Animationen ein in der Geschichte der Menschheit bislang unbekannter und unermeßlicher Schrecken!
Dann fiel ihm ein weiterer Aspekt ein. „Lee … als Jesus?“ fragte er erstaunt.
„Warum, zum Teufel, nicht? Er ist nur Teil eines Spiels, und wir brauchen dafür einen Schauspieler. Er wußte es, als er sich verpflichtete.“
Wußte er, daß er sich entsetzlichen Unwürdigkeiten, ja vielleicht sogar dem Tod unterwarf? Ja. Bruder Paul hatte das gleiche erfahren. Dennoch eröffnete ihm die Animation beunruhigende Perspektiven. Im Augenblick schien es das beste, Therion seinen Fall vortragen zu lassen.
Jesus sah verschmutzt und müde aus. Man merkte es an dem langsamen Gang und der allgemeinen Haltung. Er kam zum Brunnen und setzte sich auf die niedrige Umfriedungsmauer. Es war ein schöner Ort, wie eine Oase, von Mauern umgeben, um heranwehenden Unrat und Schmutz abzuhalten, doch grüne Pflanzen überrankten die grauen
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