Die Vogelkoenigin
entgegen.
Laura schüttelte den Kopf. »Erstens einmal wird diese Zweckgemeinschaft sofort zerfallen, sobald wir wieder heimischen Boden betreten. Selbst wenn wir alle am selben Ort herauskämen. Und dann ... was für eine Geschichte sollen wir ihnen auftischen? Wir können nicht mal behaupten, auf einer unbekannten Insel gestrandet zu sein, weil uns niemand von dort gerettet hat. Vor allem kommt es darauf an, wo wir herauskommen. Das mit der Insel würde nur irgendwo in der Karibik funktionieren. Außerdem tragen wir alle merkwürdige Klamotten. Und es erklärt immer noch nicht das Verschwinden des Flugzeugs.«
»Es ist halt schnell abgesoffen ...«
»Milt, die finden mit ihren Geräten inzwischen alles .«
Milt schwieg für eine Weile. Dann meinte er: »Ich weiß nicht. Ja, es ist schwierig, aber ich finde ... wir sollten uns darüber noch nicht jetzt den Kopf zerbrechen, wo wir noch nicht einmal wissen, ob es je dazu kommt. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn jeder einfach daheim vor der Tür steht, als wäre er ein Kriegsrückkehrer. Ich glaube, zunächst werden da gar nicht viele Erklärungen fällig sein.«
»Abgesehen davon, dass die Presse sofort Wind bekommt, und dann stürzen alle ins Chaos. Das kann doch keine Familie überstehen ...«
»Da unsere Gruppe, wie du sagst, sofort nach der Rückkehr zerfallen wird, ist es mir kreuzegal, mit welchen Problemen die anderen sich dann herumschlagen müssen. Das ist die Angelegenheit jedes Einzelnen, bei der ihm keiner helfen kann. Es geht schließlich jeder individuell damit um, einschließlich der Angehörigen. Also halte ich mich bei den anderen raus. Denn sagen wir mal so - je mehr solcher verrückter Aussagen, umso schlimmer wird es in der Öffentlichkeit. Und über die ganzen Verschwörungstheoretiker brauchen wir gar nicht erst zu reden.«
»Stimmt schon. Mir macht das Angst.«
»Das muss nicht für alle gelten«, sagte Milt. »Ich weiß, bei mir wäre es anders. Meine Eltern würden wahrscheinlich irgendeine trockene Bemerkung machen und mir dann eine Liste vorlegen, was sie mir von meinem Gehalt wegen meiner unentschuldigten Abwesenheit abziehen müssen.«
Laura fand es eigentlich nicht komisch, aber sie kicherte trotzdem. »Das ist gemein deinen Eltern gegenüber.«
»Es ist gemein mir gegenüber, meinst du. Und ja: So würden sie höchstwahrscheinlich reagieren. Es ist einfach ihre Art, mit Problemen und Katastrophen umzugehen. Die Presse würde sich nicht die Bohne für mich interessieren, weil ich kein Promi bin.«
»Also ... würde sich für dich gar nichts ändern?«
»Nein, vermutlich nicht. Wahrscheinlich würde den meisten nicht mal aufgefallen sein, dass ich überhaupt weg war.«
»Und deine Freunde?«
»Ich habe eigentlich nur lockere Bekanntschaften, aber keine solche Beziehung wie Zoe und du. In meinem Beruf habe ich kaum Zeit, Freundschaften zu pflegen. Ich habe kaum Privatleben, weil ständig irgendeine Veranstaltung ist.« Milt musterte Laura von der Seite, dann drehte er sie zu sich. »Was liegt dir auf dem Herzen, Laura? Du drückst dich schon die ganze Zeit darum herum und wirst dabei immer trauriger.«
Endlich rückte sie mit der Sprache heraus. »Ich müsste all diese Probleme nicht wälzen. Und ich weiß nicht, ob ich damit nun besser dran bin oder nicht.«
Sein Blick forschte in ihrem Gesicht. »Was meinst du damit?«
»Auf mich wartet niemand, Milt. Außer Zoe hab ich keine Freunde. Nur lockere Bekanntschaften so wie du, die keine Ahnung haben, dass ich an Bord der Maschine war.«
»Na, deine Eltern.«
»Die hätten nie Eltern werden dürfen.«
»Sie werden um dich trauern ... glücklich sein, dich wiederzuhaben ...«
Laura schüttelte den Kopf. »Glücklich vielleicht auf ihre Weise. Sie würden mich nicht mit Liebe überschütten, sondern mit Vorhaltungen, ihnen so viel Kummer bereitet zu haben. Und den Hinweisen darauf, dass ich durch dieses Erlebnis hoffentlich zur Vernunft gekommen bin. Glaub mir, sie wären die Letzten, zu denen ich gehen würde. Das klappt einfach nicht mehr mit uns. Ich will nicht.«
»Großeltern?«
»Nein. Die einen sind gestorben, die anderen leben in Frankreich.«
»Dann hättest du an sich kein Problem ...«, sagte er vorsichtig.
»In gewissem Sinne doch.« Laura hob die Schultern. »Vielleicht bin ich schon für tot erklärt worden. Weißt du, wie schwer es ist, wieder zu den Lebenden zu gehören? Und wenn ich als vermisst gelte - ich habe keinen Ausweis, kein Geld, keine
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