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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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Bruno mit einer riesigen Rolle Volierendraht aus einem Baumarkt in Aschaffenburg eingetroffen, den sie nun aufziehen mussten, was sich schwieriger gestaltete als erwartet.
    Rosen, der – wenn es seine eigene Arbeit erlaubte – ab und zu herauskam, um die Fortschritte beim Bau zu begutachten, warf jedes Mal einen sehnsüchtigen Blick hinaus in den Wald. Er hatte Willi noch nicht aufgegeben.
    Während Tibursky auf dem Klo war, ging Nora in die Küche, um sich die Hände zu waschen. Am Kühlschrank hing der Dienstplan, dessen Struktur sie vorgegeben hatte, aber die Einzelheiten hatten die Männer ohne ihre Hilfe hinzugefügt. Kochen, Staubsaugen, Wischen, Bäder putzen, Wäsche waschen, Müll rausbringen, Abspülen, Holzhacken – alles war geregelt, jeder Bewohner hatte eine Woche lang eine festgelegte Aufgabe. Nichteinhaltung wurde mit fünf Euro in die Kasse bestraft. Bis jetzt hatte lediglich Tibursky ein Mal das Putzen der Toilette vergessen. Da Neumann am folgenden Tag das Taschengeld auszahlte, folgte die Strafe direkt auf dem Fuße. Alle weiteren Dienste hatte Tibursky zur Zufriedenheit erledigt.
    Als Nora sich im Haus umsah, stellte sie fest, dass seit ein paar Tagen tatsächlich alles ein wenig heller und freundlicher wirkte. Auch wenn das weniger dem Mobiliar als der Stimmung der Bewohner geschuldet war. Nora dachte an das Kartenspiel, das noch in Folie verpackt in ihrer Jackentasche steckte. Sie hatte vor, mit den Männern heute Abend Schafkopf zu spielen. Ihrer Erfahrung nach wurde bei einem Kartenabend mehr und intensiver kommuniziert als in jeder Supervision.
    Rosen eröffnete die Mahlzeit mit einem Gebet. Die ›Arbeiter‹ langten kräftig zu und der Koch saß zufrieden lächelnd und mit rosigen Wangen am Tisch, ohne einen Bissen anzurühren.
    »Gut gekocht, Rosen, kann man net annerst sache«, sagte Tibursky schmatzend.
    Auch Lefeber bedankte sich, nachdem er sich die Mundwinkel mit einer Serviette abgetupft hatte.
    Bruno aß schweigend, die Grübchen, die gelegentlich erschienen, verrieten aber, dass er sich im Stillen über die positive Entwicklung freute. Nora fühlte sich gleichwohl durch seine Passivität ihr gegenüber irritiert. Sein Werben hatte unübersehbar abgenommen. Obwohl sie diese Woche auf den Fahrten nach und von Scheelbach mehrere Stunden gemeinsam im Auto verbracht hatten, hatten sich ihre Gespräche stets auf einem sehr oberflächlichen Niveau bewegt. Aber das mochte auch an dem lauten Innengeräusch des Landrovers liegen, das eine längere Unterhaltung schlicht unmöglich machte.
    Rosen stand auf und betrachtete den Vogelkäfig, den Bruno mitgebracht hatte und in dem ein himbeerfarbener Kanarienvogel saß und ab und zu verängstigt piepste. Er nahm den Wasserspender ab und verließ das Zimmer, um ihn in der Küche aufzufüllen.
    Tibursky starrte durch die Fensterscheibe auf irgendeinen Punkt im Wald. Ohne Vorwarnung sprang er auf und rannte aus dem Raum. Nora sah ihn heftig gestikulierend mit den Polizisten sprechen, die in ihren Autos saßen und sich die Zeit um die Ohren schlugen. Einer trabte schließlich hinter Tibursky her, der schon zwischen den Buchenstämmen verschwand.
    Fünf Minuten später klapperte erneut die Haustür. Tibursky stürmte ins Esszimmer, eine Dreckspur auf dem Dielenboden hinterlassend. Nora wollte ihn gerade ins Gebet nehmen, als sie bemerkte, dass er etwas in Händen hielt. Etwas, das ein grün-gelbes Federkleid trug.
    »Saß völlisch entkräftet auf einem Ast und hat sisch net gerührt. War ganz leischt einzufange«, keuchte Tibursky.
    Rosen hatte sich nach oben in sein Zimmer zurückgezogen, um Mittagsschlaf zu halten. Tibursky stürmte die Stufen hinauf und hämmerte gegen die Tür.
    Wenige Sekunden später hörten sie Rosens Freudenschrei: »Willi! Mein liebster Willi!«
    Montag, 25. November
    Tobin Kiefers Arbeitstag nahm um zehn Uhr vormittags eine abrupte Wendung: Henk Wawerzinek suchte ihn in seinem Büro auf, begleitet von seiner älteren Schwester Mette. Er ließ sich in einem Besuchern vorbehaltenen Ledersessel fallen und knackte Pistazien, die in einer Schale bereitstanden.
    Mette stand mit verweinten Augen vor Kiefers Eichenschreibtisch. Sie rang die Hände und berichtete – immer wieder unterbrochen von heftigen Schluchzern –, wie sie um halb sieben Uhr morgens das Licht in Timms Zimmer eingeschaltet und das Bett leer vorgefunden hatte.
    »Was habt ihr unternommen?«, wollte er von Mette wissen.
    »Henk und ich haben das Dorf

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