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Die Voliere (German Edition)

Die Voliere (German Edition)

Titel: Die Voliere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Oliver Bischoff
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abgesucht. Ludwig hat mir freundlicherweise freigegeben. An den üblichen Plätzen ist er nicht. Henk meinte, wir sollen auf jeden Fall zuerst mit Ihnen sprechen, bevor wir die Polizei einschalten.«
    »Timm ist volljährig. Ich bezweifle, dass die Polizei sein Verschwinden überhaupt interessiert.«
    »Er ist geistig zurückgeblieben.«
    »Trotz seiner Behinderung kommt er doch ganz gut alleine zurecht. Er ist ja nicht gerade – entschuldige den Ausdruck – debil.«
    Mette schniefte herzerweichend. Kiefer öffnete eine Schublade und hielt ihr eine Schachtel Papiertaschentücher hin.
    »Ist Timm nicht vor zwei Jahren schon mal abgehauen?«, fragte er.
    »Das war was ganz anderes, sein Vater hatte uns damals verlassen.«
    Kiefer zog ein Päckchen Zigarillos aus der Schublade und zündete sich eine an. Der holzige Duft breitete sich in seinem Büro aus. Er inhalierte tief und stieß den Rauch mit gespitzten Lippen wieder aus.
    »Henk meinte, Sie würden uns helfen, und jetzt stellen Sie nur einen Haufen komischer Fragen!«
    »Ich kann absolut nachvollziehen, wie du dich als Mutter fühlst, Mette, glaub mir das. Ich frage mich nur, ob die Polizei die richtige Anlaufstelle für dein Problem ist.«
    »Wen soll ich denn sonst um Hilfe bitten?«
    Ihr Gesicht verzog sich aus Kummer und Verzweiflung.
    Kiefer kam hinter seinem Schreibtisch hervor und legte ihr väterlich den Arm um die Schulter.
    »Ich denke, mit Henk zu mir zu kommen, war die richtige Entscheidung. Hast du einen Verdacht, was Timm passiert sein könnte?«
    Mette schüttelte den Kopf.
    »Mit wem hat er sich in der letzten Zeit denn so herumgetrieben?«
    Mette zuckte die Schultern. »Mit niemand besonderem. Die anderen Jungen behandeln ihn ja normalerweise wie Luft.«
    »Beim Dorffest hat jemand Timm mit einem der Männer aus der Mühle durchs Dorf laufen sehen«, warf Henk ein.
    Mette schlug die Hände vor den Mund.
    Kiefer sah zuerst Henk an, dann Mette. »Ich denke, in diesem Fall sollten wir vielleicht doch die Polizei bemühen. Hast du ein Foto von deinem Sohn dabei?«
    Mette zog ein zerknittertes Porträt aus ihrer Strickjacke und reichte es Kiefer.
    »Ich kenne den Leiter der Rienecker Polizeiinspektion vom Schützenverein. Ich schlage vor, ihr setzt euch jetzt draußen hin und wartet, während ich mit ihm rede. Vielleicht kann ich ja doch etwas erreichen.«
    Henk führte Mette aus Kiefers Büro und schloss die Tür hinter sich. Der Ortsvorsteher kehrte wieder an seinen Platz zurück. Er öffnete eine Schublade, legte das Foto neben das Päckchen mit den Zigarillos, schob die Schublade wieder zu und schloss ab. Den Schlüssel ließ er in seine Jackentasche gleiten. Nachdem er einige Minuten lang die Sportergebnisse im Internet studiert und vor sich hin gepafft hatte, trat er in den Vorraum hinaus, wo Mette und Henk sich, in zwei Klubsessel versunken, anschwiegen.
    »Wie ich befürchtet hatte«, sagte Kiefer bedauernd. »Sie können nichts unternehmen, weil Timm volljährig ist. Wir sollen abwarten. Sie meinen, vermutlich wird er von alleine zurückkommen, wenn er Hunger hat.«
    »Ich kann ihn doch nicht einfach sich selbst überlassen! Nachts hat es inzwischen fast null Grad. Und der Wetterbericht kündigt einen Sturm an.«
    »Wir lassen ihn nicht alleine, Mette. Wenn die Polizei sich nicht darum kümmert, dann müssen wir das eben selbst in die Hand nehmen. Oder, Henk?«
    »Meine Rede«, pflichtete sein Mitarbeiter ihm bei.
    »Also gut!« Kiefer klatschte tatendurstig in die Hände. »Ich möchte, dass du heute an jeder Haustür im Dorf klingelst. Erzähl, was passiert ist. Finde heraus, ob noch jemand deinen Sohn mit einer dieser finsteren Gestalten aus der Schreckenmühle gesehen hat. Außerdem besuch noch einmal alle Orte, an denen Timm sich verstecken könnte. Um fünf Uhr kommst du wieder her und berichtest. Falls Timm morgen früh immer noch nicht da ist, berufen wir eine Dorfversammlung ein.«
    »Können wir denn nicht gleich zur Mühle gehen? Ich hab solche Angst um meinen Jungen!«
    Kiefer schüttelte den Kopf. »Geh jetzt und tu, was ich dir gesagt habe.«
    Mette stand auf und schenkte Kiefer einen dankbaren Blick. »Vielen Dank für alles, Herr Kiefer.«
    »Keine Ursache, Mette. Wir Scheelbacher müssen doch zusammenhalten.«
    Mette verließ der Vorraum, Kiefer sah ihren Rücken gelegentlich unter heftigen Weinkrämpfen erbeben. Henk, der eine ganze Handvoll Pistazien in den Mund stopfte und auf dem grünen Brei herumkaute, häufte leere

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