Die Voliere (German Edition)
die Annahme.«
»Und was denken Sie heute über Frau Franke?«
»Es tut mir leid, dass ich sie in diese Sache hineingezogen habe. Dass ich sie beinahe umgebracht habe. Und natürlich auch die Sache mit der Drohung.«
Lefeber räusperte sich und trank erneut einen Schluck Wasser.
»Was verbindet Sie mit Doktor Albrecht, dem Tierarzt?«
Lefeber änderte seine Haltung auf dem Stuhl, eine winzige Veränderung, die Nora gleichwohl bemerkte.
»Er hat mir und Heinz Rosen einen Wellensittich geschenkt. Wir sehen uns einmal wöchentlich, spielen Karten, unterhalten uns, sehen uns gemeinsam Ausstellungskataloge an. Er ist sehr kunstinteressiert, besonders die zeitgenössische Kunst hat es ihm angetan.«
»Waters?«
»Waters, Lucian Freud, Beuys.«
»Und das ist eine rein freundschaftliche Beziehung.«
»Wenn Sie darauf anspielen, ob wir ein homosexuelles Verhältnis haben: nein. Schwulen Sex könnte ich hier im Knast zuhauf haben, wenn ich wollte. Oder noch könnte.«
»Ich entnehme Ihren Unterlagen, dass Sie sich während der Haftzeit einer Psychoanalyse unterzogen haben. Das scheint mir bei Ihrer Vorgeschichte nicht gerade die optimale Therapieform zu sein.«
Lefebers Lachen klang bitter. »Wissen Sie, wie das hier läuft, im Vollzug? Da gibt es keine Anamnese, keine Bedarfsanalyse. Da heißt es: Wir bieten fünf Therapieplätze für Psychoanalyse. Dann bewerben sich dreißig Insassen, die ihrem nächsten Haftprüfungstermin entgegenfiebern, und mit sehr viel Glück sitzen Sie einige Wochen später einem Psychologen gegenüber, der einen Lehrstuhl an der Uni hat. Der probiert dann seine neueste Theorie an Ihnen aus. Besser eine Psychoanalyse als gar nichts, denken Sie sich.«
»Es ging Ihnen also lediglich darum, einen guten Eindruck beim Haftrichter zu hinterlassen?«
»Meine Veranlagung zu Sadismus und Pädophilie ist eine Krankheit. Sie ist nicht heilbar, aber kontrollierbar. Ich habe in der Sicherungsverwahrung noch an weiteren Verhaltenstherapien teilgenommen. Ich bemühe mich, alles zu tun, um mich zu bessern.«
Nora klappte die Akte zu. »Wie stellen Sie sich Ihre Zeit nach der Entlassung vor?«
Lefeber schloss die Augen. »Niemand will, dass wir freikommen. Weder die Gesellschaft noch die Opfer und ihre Angehörigen. Viele Insassen haben sich mit dem Leben in Sicherungsverwahrung abgefunden oder sind sich bewusst, dass sie sich draußen gar nicht mehr zurechtfinden würden. Wir sind Schachfiguren in einem juristischen Tauziehen zwischen der europäischen und der deutschen Justiz. Das Publikum hat bereits Position bezogen und johlt.«
Lefeber war gut informiert, offensichtlich hatte er sich eingehend auf dieses Gespräch vorbereitet. Er sah zum Fenster hinaus. Doch seine Metapher lief ins Leere, es herrschte Ruhe, die Demonstranten legten wohl gerade eine Verschnaufpause ein.
Nora schüttelte den Kopf. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wie stellen Sie sich persönlich Ihre Zeit in Freiheit vor?«
Lefeber massierte sein Ohrläppchen, um Zeit zu gewinnen. »Obwohl ich nicht damit gerechnet habe, freue ich mich darauf, das Gefängnis nach über zwanzig Jahren zu verlassen. Ich habe meine Strafe verbüßt. Ich habe alles getan, um zu verhindern, dass ich rückfällig werde. Aber ich fürchte trotzdem, dass alles in einem Fiasko endet. Wir sind wie Aussätzige. Niemand will uns in seiner Nähe haben. Und die Medien und die Technologie sorgen dafür, dass alle Welt jederzeit über unseren jeweiligen Aufenthaltsort informiert ist.«
Nora warf einen Blick auf ihr Smartphone, auf dem während der Unterhaltung mit Lefeber bereits über zwanzig neue Nachrichten eingetroffen waren. In einer Welt, die ständig online war, einer Welt der Blogs und Twitterstreams, waren die althergebrachten Medien vielleicht keine echte Bedrohung mehr.
»Ich denke, Sie sehen die Zukunft zu pessimistisch, Herr Lefeber. Man wird einiges tun, um Ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern.«
Wieder huschte ein gequältes Lächeln über Lefebers Gesicht. »Ich denke, da liegen Sie völlig falsch, Frau Winter. Aber danke für Ihre Ermutigung.« Mit diesen Worten erhob er sich.
Der Schließer sprang überrascht von seinem Stuhl auf.
»Sind wir fertig?«
Nora blätterte in ihren Unterlagen. Sie waren tatsächlich fertig, aber es ging nicht an, dass Lefeber derjenige war, der das Gespräch beendete. Also ließ sie ihn eine Weile zappeln. Er nahm wieder Platz und wartete. Schließlich reichte sie ihm die Hand
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