Die volle Wahrheit
die Neue Firma, zu allem bereit.
Sie wartete.
Irgendwann kam die Zeit für eine neue Generation, dachte Herr Na-
del. Sie würde die Dinge auf eine neue Weise erledigen, ohne sich von
den Fesseln der Tradition zurückhalten zu lassen. Leute, die Dinge ge-
schehen ließen. Herr Tulpe, zum Beispiel, ließ immer wieder etwas ge-
schehen.
»He, sieh dir das an!«, brachte Herr Tulpe heraus, der gerade das Tuch
von einem weiteren Bild gezogen hatte. »Von Gogli signiert. Aber es ist
eine …te Fälschung. Siehst du, wie hier das Licht einfäl t? Und die Blät-
ter an diesem Baum? Wenn Gogli dieses …te Bild gemalt hat, dann mit
seinem …ten Fuß. Wahrscheinlich stammt es von einem …ten Schü-
ler…«
Während sie in der Stadt gewartet hatten, war Herr Nadel Herrn Tul-
pe gefolgt, der eine deutliche Spur aus Scheuerpulver und für Hunde
bestimmte Wurmtabletten hinterließ. Sein Kollege hatte voller Hingabe
eine Kunstgalerie nach der anderen besucht. Es war sehr aufschluss-
reich gewesen, insbesondere für die einzelnen Lagen der Signaturen.
In Hinsicht auf Kunst verfügte Herr Tulpe über jenen Instinkt, der ihm bei Chemie fehlte. Er schnupfte Puderzucker und Fußpulver, während er in privaten Galerien aus blutunterlaufenen Augen Tabletts mit
kleinen Marmorfiguren betrachtete.
Herr Nadel hatte seinen Kollegen stumm bewundert, als Herr Tulpe
sehr anschaulich und ausführlich die Unterschiede verdeutlichte zwi-
schen der alten Art, Elfenbein zu fälschen (mit Knochen), und der
…ten neuen, die von den …ten Zwergen entwickelt worden war und
bei der man raffiniertes Öl, Kreide und …ten Nacle-Geist verwendete.
Er wankte zum Wandteppich und ließ sich wortreich über die hohe
Kunst des Webens aus. Vor einer grünen Szene schluchzte er und
meinte dann, dass die angeblich aus dem dreizehnten Jahrhundert
stammende Sto-Lat-Tapisserie nicht mehr als hundert Jahre alt sein
konnte, und zwar wegen des …ten Purpurs hier, einen solchen …ten
Farbstoff gab’s damals noch nicht. »Und dann… siehst du das hier? Ein
achatener Balsamiertopf aus der P’gi-Su-Dynastie? Da hat dich jemand
in die Pfanne gehauen, Teuerster. Die Glasur taugt nichts .«
Herr Nadel war so sehr erstaunt gewesen, dass er ganz vergessen hat-
te, das eine oder andere wertvol e Stück in seiner Tasche verschwinden
zu lassen. Aber eigentlich begegnete er diesem Phänomen nicht zum
ersten Mal. Wenn sie gelegentlich eine Villa niederbrennen mussten,
legte Herr Tulpe großen Wert darauf, zuvor alle unersetzlichen Gegens-
tände in Sicherheit zu bringen, auch wenn das bedeutete, dass sie Zeit
verloren und die Bewohner an ihre Betten fesseln mussten. Irgendwo
unter dem selbst geschaffenen Narbengewebe und im Zentrum des
brodelnden Zorns wohnte die Seele eines wahren Kenners mit einem
unfehlbaren Instinkt für Schönheit. Das war sehr ungewöhnlich für
einen Mann, der Badesalz fixte.
Die beiden Flügel der großen Tür am anderen Ende des Raums
schwangen auf. Dahinter erstreckte sich Dunkelheit.
»Herr Tulpe?«, fragte Herr Nadel.
Tulpe unterbrach die sehr sorgfältige Begutachtung eines Tisches, der
vermutlich von Tapasi stammte und mit wundervol en Einlegearbeiten
versehen war, bestehend aus mehreren …ten Furnieren.
»Hm?«
»Es wird Zeit, noch einmal den Bossen gegenüberzutreten.«
William wollte gerade sein Büro verlassen, als jemand an die Tür klopf-
te.
Er öffnete sie vorsichtig, und sie wurde sofort ganz aufgestoßen.
»Du völlig, völlig… undankbare Person!«
Es war nicht angenehm, so genannt zu werden, erst recht nicht von
einer jungen Frau. Bei ihr klang das Wort »undankbar« wie ein Aus-
druck, der bei Herrn Tulpe drei Punkte und mindestens ein t erforderte.
William kannte Sacharissa Kratzgut; für gewöhnlich half sie ihrem
Großvater in seiner kleinen Werkstatt. Er hatte ihr nie große Aufmerk-
samkeit geschenkt. Sie sah nicht besonders gut, aber auch nicht beson-
ders schlecht aus. Sie war einfach eine junge Frau, die eine Schürze trug
und im Hintergrund elegante Dinge verrichtete: Zum Beispiel wischte
sie vorsichtig Staub oder rückte Blumen zurecht. Wenn er sich tatsäch-
lich eine Meinung über sie gebildet hatte, so glaubte William, dass Sa-
charissa an deplatzierter Freundlichkeit litt und Etikette mit Vornehm-
heit verwechselte. Sie hielt Manieriertheit irrigerweise für gute Manie-
ren.
Jetzt bekam er Gelegenheit, sie viel deutlicher zu sehen,
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