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Die volle Wahrheit

Die volle Wahrheit

Titel: Die volle Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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hauptsächlich
    deshalb, weil sie ihn durchs Zimmer verfolgte. In der benebelten Art
    von Leuten, die sich dem Tode nahe glauben, wurde ihm klar, dass Sa-
    charissa eigentlich ganz gut aussah – vorausgesetzt, man dachte in ei-
    nem Zeitrahmen von mehreren Jahrhunderten . Die Konzepte der Schön-
    heit verändern sich im Lauf der Zeit, und vor zweihundert Jahren hät-
    ten Sacharissas Augen den großen Maler Caravati veranlasst, seinen
    Pinsel zu zerbeißen. Vor dreihundert Jahren hätte der Bildhauer Mau-
    vaise einen Blick auf ihr Kinn geworfen und sich den Meißel auf den
    Fuß fallen lassen. Vor tausend Jahren wären die ephebianischen Dichter
    der Ansicht gewesen, dass ihre Nase mindestens vierzig Schiffe in See
    stechen lassen konnte. Und sie hatte gute mittelalterliche Ohren.
    Ihre Hand allerdings war ziemlich modern und versetzte William eine
    schal ende Ohrfeige.
    »Die zwanzig Dollar im Monat waren fast alles, was wir hatten!«
    »Tut mir Leid. Wie bitte?«
    »Na schön, er ist nicht sehr schnel , aber immerhin gilt er als einer der
    besten Graveure weit und breit!«
    »Oh… ja. Äh…« Plötzliche Schuldgefühle regten sich in William.
    »Und du hast sie weggenommen, einfach so!«
    »Ich wollte es nicht! Die Zwerge… Es passierte irgendwie!«
    »Du arbeitest für sie?«
    »In gewisser Weise… mit ihnen…«, sagte William.
    »Während wir verhungern.«
    Sacharissa blieb stehen und schnaufte. Sie verfügte über einen gut ge-
    formten Vorrat an anderen Merkmalen, die nie aus der Mode gerieten
    und sich in jedem Jahrhundert wohl fühlten. Ganz offensichtlich glaub-
    te sie, dass strenge, altmodische Kleider einen dämpfenden Kontrast
    bewirkten, aber da irrte sie.
    »Ich hänge bei ihnen fest«, sagte William und versuchte, nicht zu star-
    ren. »Bei den Zwergen, meine ich. Lord Vetinari hat keinen Zweifel daran gelassen. Und plötzlich ist alles sehr kompliziert geworden…«
    »Die Graveursgilde dürfte sehr ungehalten sein«, meinte Sacharissa.
    »Äh… ja.« Eine jähe Idee schlug zu, noch heftiger als Sacharissas
    Hand. »Da hast du bestimmt Recht. Was hältst du davon, als ihre offi-
    zielle Sprecherin aufzutreten? In der Art von: ›Wir sind ungehalten‹,
    sagte ein Sprecher, äh, eine Sprecherin der Graveursgilde.«
    »Warum?«, fragte Sacharissa argwöhnisch.
    »Ich suche nach Neuigkeiten für meine nächste Ausgabe«, erwiderte
    William verzweifelt. »Kannst du mir helfen? Ich gebe dir… oh, zwanzig
    Cent pro Nachricht, und ich kann mindestens fünf pro Tag gebrau-
    chen.«
    Die junge Frau öffnete den Mund für eine scharfe Antwort, aber
    dann begann sie zu rechnen. »Ein Dol ar pro Tag?«, vergewisserte sie
    sich.
    »Noch mehr, wenn die Meldungen hübsch und lang sind«, sagte Wil i-
    am drauflos.
    »Für deinen Nachrichtenbrief?«
    »Ja.«
    »Ein Dollar?«
    »Ja.«
    Sacharissa musterte William misstrauisch. »Das kannst du dir doch gar
    nicht leisten. Ich dachte, du bekommst selbst nur dreißig Dollar. Das
    hast du Großvater gesagt.«
    »Inzwischen sind die Dinge ein wenig in Bewegung geraten. Ich bin
    selbst ziemlich überrascht, um ganz ehrlich zu sein.«
    Sacharissas Blick blieb skeptisch, aber das natürliche Ankh-Morpork-
    Interesse an der Möglichkeit, Geld zu verdienen, gewann die Oberhand.
    »Nun, ich höre das eine oder andere«, begann sie. »Und… Dinge auf-
    zuschreiben… Ich schätze, solch eine Arbeit eignet sich für eine Dame.
    Es ist praktisch kulturel .«
    »Äh… fast, denke ich.«
    »Ich möchte mich nicht mit Dingen befassen, die sich… nicht gehö-
    ren.«
    »Oh, mit dieser Sache ist bestimmt alles in Ordnung.«
    »Und die Gilde kann doch keine Einwände dagegen erheben, oder?
    Schließlich schreibst du seit Jahren Nachrichtenbriefe…«
    »Ich bin nur ich«, entgegnete Wil iam. »Wenn die Gilde was dagegen
    hat, muss sie sich an den Patrizier wenden.«
    »Nun, also gut… wenn du ganz sicher bist, dass sich diese Aufgabe für eine junge Dame eignet…«
    »Komm morgen zur Druckerei«, sagte William. »Wir können inner-
    halb von wenigen Tagen eine weitere Ausgabe herausbringen.«

    Der Ballsaal war in feudales Rot und Gold getaucht, aber ein modriger
    Geruch durchzog das Halbdunkel, und die verhül ten Kronleuchter
    wirkten gespenstisch. Das Kerzenlicht in der Mitte wurde matt von
    Spiegeln an den Wänden reflektiert. Früher einmal mochten sie den Saal
    hel erleuchtet haben, doch im Laufe der Jahre waren sie auf eine selt-
    same Weise angelaufen. Das

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