Die Voodoo-Witwe
Wasser. Lebende Wasserleichen, die…«
Ich schlug ihm auf die Schulter. »Hör auf, sonst bekomme ich davor noch Angst.«
»Brauchst du nicht, Alter, ich bin ja bei dir.«
»Wie beruhigend.«
»Willst du hier stehenbleiben?«
»Nein, wir stürzen uns in den Trubel. Oder hast du keinen Durst?«
»Doch — auf Rum.«
»Dann gib nur acht, daß er dich nicht von den Beinen haut.« Ich drehte mich und nahm vom Tablett eines lächelnden Kellners zwei gefüllte Longdrinkgläser. Eines davon bekam Suko.
»Worauf trinken wir?« fragte er und beäugte mißtrauisch den Zucker am Glasrand.
»Vielleicht auf die Gastgeberin?«
Suko grinste. »Ja, auf die Witwe. Nein, noch besser, trinken wir auf die Voodoo-Witwe.«
»Bitte sehr.« Ich hob mein Glas. »Cheers.« Danach bereute ich den Schluck, weil der Zucker zwischen den Zähnen knirschte. Der Begriff Voodoo-Witwe blieb in meinem Gedächtnis haften. Ich glaubte, daß Suko damit ins Schwarze getroffen hatte, drehte mich um und schaute zu ihr hinüber.
Auch sie blickte zufällig in meine Richtung. Und wieder hatte ich den Eindruck, kaltes Sternenlicht in ihren Augen zu sehen…
***
Als der Häuter den Schalter an der Tür mit dem Ellbogen antippte, ging das Licht über dem Waschbeckenspiegel an. Da betrat die große, breitschultrige Gestalt den kleinen Waschraum. Er nahm ihn völlig ein. Daß er nicht mit dem Kopf gegen die Decke stieß, glich einem Wunder. Er brauchte nur einen Schritt zu gehen, um das Waschbecken zu erreichen. Dabei konnte er sich im Spiegel betrachten und grinste seinem Ebenbild zu.
Ein kantiges und trotzdem breites Gesicht. Dunkles Haar, das sehr kurz geschnitten war, ein Mund mit dicken Lippen, eine von der Sonne gebräunte Haut.
Er hob die Arme an.
Seine Hände erschienen auf der Spiegelfläche und damit auch der blutige Schmier, der sie bedeckte und sich bis über die Handgelenke ausgebreitet hatte.
Er hatte seine Arbeit getan…
Mit der Linken drehte er den Kran auf, wusch sich das Blut von den Händen.
Er stöhnte dabei und genoß das Gefühl der Kälte, die ihm das Wasser brachte. Es war für ihn einfach herrlich. Er fühlte sich besser, fast wie im siebten Himmel, und abermals war er froh, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Froh und auch dankbar der Person gegenüber, die ihm dies alles ermöglicht hatte.
Er schnaubte, bückte sich tiefer und bewegte seine Arme seitwärts aufeinander zu.
Das Wasser war herrlich erfrischend, eine Wohltat. Die Kälte hinterließ sogar eine Gänsehaut auf den Armen. Etwa eine Minute genoß er dieses Gefühl. Allmählich nahm auch seine Erregung ab, die ihn stets bei seiner Arbeit überfiel. Er mußte es tun, er konnte nicht anders. Nur dieser maßlose Schrecken garantierte ihm ein Weiterleben. Der Häuter drehte den Krahn wieder zu und wandte sich um. Es war still in diesem Teil des Hauses. Wenn er etwas hörte, dann waren es einzig und allein seine Schritte.
Dennoch ging er auf leisen Sohlen in den schmalen Flur zurück und von dort aus in das Büro.
Er hatte das große Licht gelöscht, dafür die Schreibtischlampe eingeschaltet. Auch ihr Licht reichte aus, um das Schreckliche erkennen zu können, denn das Zimmer sah aus wie eine grausame Filmkulisse, die die Nerven der Zuschauer blanklegen wollte.
Das Blut hatte sich verteilt. Es war praktisch überall, und direkt neben dem Schreibtisch lag die Leiche.
Auf ihm stand eine Segeltuchtasche mit einem Inhalt, den der Häuter mitnehmen wollte. Er hatte sie in dem Laden gefunden und war damit zufrieden.
Stille umgab ihn.
Und gleichzeitig ein fürchterlicher Geruch, der bei normalen Menschen einen Ekel hätte hochkommen lassen.
Nicht bei dem Häuter.
Er hatte sich nicht nur an diesen Geruch gewöhnt, er liebte ihn sogar. Er brauchte ihn, denn es war wie damals auf der Insel, als er seine Rituale durchführte.
Oh, er hatte viel gelernt, und er hatte nichts, aber auch gar nichts vergessen. Im Gegenteil, seine Kenntnisse waren immer vollkommener geworden, und er liebte es, sie einzusetzen.
Er und die Frau — sie beide bildeten ein Team, das unschlagbar war. Es würde diese Stadt mit Angst und Schrecken übersäen, was ihnen in London nicht mehr gelungen war, denn da war man ihnen auf die Spur gekommen.
Er hatte nicht aufhören wollen, und die Frau war seiner Meinung gewesen, denn auch sie wußte viel, weil sie lange genug auf den Inseln gelebt hatte.
Es reichte jetzt. Es war genug Haut vorhanden, obwohl er sich den letzten Rest gern in London
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