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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Ansichtskarte aus Westfalen?»
    «Nein, es ist ein Brief. Darin ein Zeitungsausschnitt und ein zerdrückter Kaffeebecher. Könntest du die Sachen auf Fingerabdrücke überprüfen lassen?»
    «Wie bitte?»
    «Du hast mich ganz gut verstanden.»
    «Das glaub ich jetzt nicht.»
    «Abgesehen von meinen eigenen müssten auf dem Pappbecher und der Zeitung identische Spuren sein. Ich interessiere mich aber für die dritten Abdrücke auf der Zeitung.»
    «Ich glaube kaum, dass so etwas deiner Entspannung dient.»
    «Ich kann mich aber besser erholen, wenn ich weiß, was du darauf findest.»
    «Ist irgendwas passiert?»
    «Nein, nicht direkt. Mach dir keine Sorgen um mich.»
    «Und das Kind?»
    «Welches   … ach ja, dem geht es auch gut. Alles in Butter. Axel, nur diese eine Sache, bitte! Ich habe dir die Anweisungen im Brief nochmal näher beschrieben.»
    «Ich weiß nicht, ob ich das machen kann   …»
    «Und sonst war ich heute ausgiebig spazieren, habe viele Vitamine zu mir genommen, hatte Kneipp’sche Güsse und eine Fußreflexzonenmassage   …»
    «Wencke, lenk nicht ab   …»
    «Mach ich doch gar nicht. Oh, es ist schon zwei Minuten nach zehn. Ich muss dann mal ins Bett. Gute Nacht.»
    «Wencke, pass auf dich auf   … schlaf schön!»

11
    Es war schon weit nach Mitternacht. Sehr weit danach. Stefan Brampeter hatte zu viel getrunken. Manchmal kippte sein Kopf nach vorn, weil er so schwer geworden war. Keine Ahnung, warum, er schluckte das Zeug doch dauernd hinunter, eigentlich müsste sein Schwerpunkt ganz tief unten sein, nach den ganzen Bieren und Schnäpsen. Und nach dem Lippischen Pickert, der bekanntermaßen auch ziemlich schwer im Magen lag. Kartoffeln und Mehl und Hefe und Butter und selbst gemachte Leberwurst. Danach stand so schnell keiner mehr auf. Trotzdem konnte er den Kopf nicht mehr aufrecht auf dem Körper tragen. Vielleicht waren es die verdammten Gedanken, die ihn niederdrückten. Gedanken an Ulrich, immer wieder an Ulrich, den er heute gesehen hatte.
    «Du kannst es dir echt nicht vorstellen, wie ähnlich die beiden sich sind. Das ist gespenstisch. Wirklich wahr!»
    Konrad Gärtner klopfte ihm auf die Schulter. «Stefan, nimm’s nicht so schwer. Trink noch einen Wacholder. Runter damit!» Er machte es ihm vor. Öffnete den Mund so weit wie ein Garagentor und stürzte sich den klaren Schnaps hinein. Stefan Brampeter wusste, ihm würde schwindelig werden, wenn er jetzt den Kopf in den Nacken legte. Trotzdem war er sich diesen einen letzten Schnaps schuldig. Er war heute seinem großen Bruder begegnet. Seinem großem Bruder Ulrich, als dieser zehn Jahre alt gewesen war. Es musste die Zeitgewesen sein, als sie beide in den Schützenverein eingetreten waren und sich ständig gestritten hatten, wer denn das Gewehr des Vaters schultern durfte. Er erinnerte sich noch, wie lang sie damals gequatscht hatten am Abend, Ulrich oben und er unten im Etagenbett, Ulrich mit Schalke-Aufklebern auf der Tapete, Stefan mit Arminia Bielefeld. Worüber hatten sie damals eigentlich gesprochen? Über Mama und Papa, die damals eine schlechte Zeit gehabt hatten, weil die Schulden für das Eigenheim so drückten? Oder über Schule, über den Wunsch nach einem eigenen Hund, über die Ausrede, die sie sich einfallen lassen mussten, wenn Mutter die zerschlissenen Hosenknie entdeckte? Über Mädchen hatten sie damals noch nicht gesprochen. Das war viel später gewesen. Da hatte bei Ulrich dann Samantha Fox gehangen und bei Stefan Madonna. Das musste acht Jahre später gewesen sein. Die Fußballaufkleber hatten sie unter den Plakaten gelassen. Und dann, irgendwann kurz bevor Ulrich die Schule beendet hatte und zur Bundeswehr ging, hatte eine Weile die schwarzweiße Flagge mit dem Reichsadler dort gehangen. Mutter hatte sie beim Putzen ignoriert, kein Wort darüber verloren, genauso wenig über die Schnürstiefel und Ulrichs Kahlschlagfrisur. Dann war Stefans großer Bruder ausgezogen und seine eigenen Wege gegangen. Stefan war ihm nicht gefolgt.
    «Ich kann mir vorstellen, dass es einem die Socken auszieht, wenn man auf einmal seinem eigen Fleisch und Blut gegenübersteht. Nach alledem   …» Konrad Gärtner war auch nicht mehr ganz allein, er hielt sich am Tresen fest. Auf der Holzplatte schimmerte im filzigen Kneipenlicht ein wirres Muster aus nassen, klebrigen Ringen, kleinen und großen, die von den zahlreichen Gläsern im Laufe des Abends dort hinterlassen worden waren. Eigentlich ging Stefan Brampeter immer als

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