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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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blies die Gardine zu einem buckeligen Etwas auf. Mattis legte sich wieder ins Kissen zurück und zog die Decke bis zur Unterlippe hoch. Was sollte er jetzt tun? Ein Blick auf den Wecker verriet ihm, dass es bereits Viertel nach sieben war. Um acht begann der Unterricht. Und frühstücken musste er auch noch. Also eigentlich   …
    Aber es war so furchtbar kalt im Zimmer, er hatte die Befürchtung, sich sofort eine saftige Erkältung einzufangen, sobald er nur den großen Zeh unter der Bettdecke hervorstreckte.
    «Mama?», rief er, obwohl er ahnte, dass er keine Antwort bekommen würde. Sie war ganz sicher da unten beim Schwimmbad. Und gleich würde die Türklinke heruntergehen, und sie würde hereinkommen und ihm wieder erzählen, dass die anderen Frauen sich alle so angestellt hätten wegen des kalten Wassers. Und dann würde sie ihm sagen, dass es nun aber höchste Eisenbahn wäre, wenn er noch rechtzeitig zur Schule kommen wolle, und dass er eine Schlafmütze sei. Und vielleicht würde sie ihn auch in den Arm nehmen und sagen, wie schön es sei, sie beide allein, endlich Ruhe und viel Zeit. Dann schlief er wieder ein. Kein Traum mehr von Bäumen und Beinen. Nur ein gemütliches, verbotenes Schlummern in den Morgen hinein.

13
    Die alte Martineck wusste, dass in Bad Meinberg schon längst jeder ihren Vornamen vergessen hatte. Sie hieß eben einfach nur «die alte Martineck», was wahrscheinlich daran lag, dasssie schon mit Mitte fünfzig Witwe geworden war und seitdem auch nicht mehr großartig am sozialen Leben im Dorf teilgenommen hatte. Und wozu dann die Haare tönen, sich moderne Kleidung kaufen, womöglich noch etwas gegen die Falten tun? Für wen? Für die wenigen Menschen, die ihr beim morgendlichen Besuch auf dem Friedhof entgegenkamen? Nein. Es machte ihr nichts aus, älter zu sein als die Frau in ihrem Personalausweis.
    Ihr Tag begann sehr früh. Schon um fünf schlug sie die Augen auf, an Schlaf war dann nicht mehr zu denken. Sie machte die Betten, zog sich an, brühte sich Kaffee von Hand auf und wartete, bis es acht Uhr war. Dann ging sie zum Friedhof.
    Im Sommer war es schön, dann machten die Vögel in den Bäumen Radau. Im Winter, besonders jetzt, Mitte Dezember, war es ungemütlich. Die Sonne ging gerade eben auf, als sie durch den Berggarten ging. Zum Glück wurden die Laternen ab sieben Uhr wieder angestellt, sonst wäre es hier zu dunkel gewesen. Der stufenförmig angelegte Park war mit Naturstein gepflastert, da hätte man bei schlechter Sicht leicht stolpern und sich alle Knochen brechen können. Als die alte Martineck endlich beim Grab ihres Mannes angekommen war, war es schon hell genug, um die Inschrift zu erkennen.
    Es war ja gar nicht so, dass sie ihn unendlich geliebt hätte. Nicht deswegen kümmerte sie sich seit mehr als zehn Jahren Tag für Tag um seine letzte Ruhestätte. Vielmehr mochte sie den Friedhof als Ort an sich. Er passte zu ihr. Sie fühlte sich hier wohler als beispielsweise im weiträumigen Kurpark mit seinen Wasserfontänen und verschnörkelten Blumenbeeten. Hier bei der Kapelle war alles schön geradlinig und geordnet, alles hatte seinen Platz, auch ihr Mann dort anderthalb Meter tief unter der Erde.
    Sie packte den feuchten Lappen aus der Plastiktüte und wischte über den Stein. Es machte ihr nichts aus, dass ihr Nameund das Geburtsdatum bereits ebenfalls eingraviert worden waren. Das war damals beim Steinmetz wesentlich preiswerter gewesen, ab dreißig Lettern kostete es zwanzig Prozent weniger.
    Bei der routinierten Putzbewegung ließ sie den Blick über die anderen Grabmäler schweifen. Einige waren verwittert, von Vogelkot bekleckert oder moosig. Die Leute sollten sich schämen, so lieblos mit den Stätten ihrer Verstorbenen umzugehen.
    Am Ende der Reihe blieb ihr Blick an etwas hängen, das anders war als sonst. Die gerade Linie der Grabumrandung war unterbrochen. Ein Brocken Erde, wenn sie dies aus der Entfernung richtig erkannte, lag auf der steinernen Einfassung des letzten Grabes. Sie polierte noch ihren Nachnamen fertig, dann ging sie Richtung Friedhofszaun. Ihr Stiefel stieß gegen einen Strauch, der entwurzelt auf dem Weg lag, ein Buchsbaum, noch nicht richtig zurechtgestutzt für den Winter. Nur einen Schritt weiter wäre sie fast über eine zerrupfte Zypresse gestolpert.
    Was war hier passiert? Wer hatte hier gewütet und die geliebte Ordnung ihres Friedhofes zerstört? Je näher sie dem hintersten Grab kam, desto heftiger klopfte ihr Herz. Die letzten

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