Die Wacholderteufel
Zimmer käme, während Hartmut und
ich im Wohnzimmer sind. Es gibt Dinge, die sollte ein Zehnjähriger nicht zu sehen bekommen.
Wir gucken Tagesschau. Sie bringen etwas über eine Naturkatastrophe in der Dritten Welt, viele Menschen sind gestorben, ihre Angehörigen tragen verzweifelt weinend die sterblichen Überreste auf die Kameras zu. Man spricht von tausend Toten. Hartmut sagt: «Was können wir uns glücklich schätzen, dass es uns so gut geht.»
Seine Serie dauert neunzig Minuten. Ich verfolge nie so richtig, worum es dabei geht, nur am Rande nehme ich die Autos wahr, die sich verfolgen und demolieren und reihenweise in Flammen aufgehen. Manchmal stehle ich mir dann ein paar Minuten Schlaf. Doch Hartmut ist sehr laut: «Schau dir das mal an! Wahnsinn! Wie die Bekloppten!» Dann braucht er ein Bier. Danach geht er auf die Toilette und brüllt nach Klopapier. Dann ist Werbepause, und er will mit mir über meinen Arbeitstag reden. Ich erzähle jeden Abend dieselbe Geschichte und weiß, dass er mir nicht zuhört, sondern auf meine Brust stiert, die sich hebt und senkt, wenn ich rede. Plötzlich greift er danach und knetet sie, als wolle er etwas herausquetschen. «Du bist eine tolle Frau!», sagt er. Dann ist die Werbepause zu Ende.
Ich bin sehr müde. Meine Knochen machen diese Tortur schon lange nicht mehr ohne Schmerzen mit. Zu wenig Schlaf entzieht dem Körper irgendein Mineral und lässt den Menschen zerbrechlich werden. Ich fühle mich wie dünnwandiges Porzellan. Und die Hände meines Mannes sind für Holz gemacht, oder für Stein. Er kann nichts dafür, zu viel Kraft, die keiner braucht. Er leidet unter seiner Krankheit. Er ist ein ganzer Mann, bei dem einige Sachen nicht funktionieren. Da kann die Energie nirgendwohin ausweichen. Es ist nicht ideal, wenn so jemand mit einer zerbrechlichen Frau zusammenlebt.
Damals ist es anders gewesen. Ich war so glücklich, als Hartmut um meine Hand angehalten hat. Ich sah ihn als Retter, endlich
raus aus dem Heim, endlich raus aus dem alten Leben mit dem alten Namen, unter dem mich die Menschen in Bad Meinberg gekannt haben. Die erste Zeit in Bremen war ja auch ganz schön. Als er noch Arbeit hatte, war seine Energie beim Hausmeisterjob draufgegangen. Er kann so gut arbeiten. Er kriegt alles organisiert, er weiß immer, wo alles liegt und wie man kaputte Sachen wieder heile macht. Sein Chef hat ihn oft gelobt, zwei rechte Hände hätte Hartmut und dazu noch den nötigen Verstand. Hartmut war zufrieden gewesen. Da hat er mich immer in Ruhe gelassen. Er kann nichts dafür, dass es nun anders ist. Es liegt an seiner Arbeitslosigkeit.
Hartmut ist ein guter Mann. Er hat mich gerettet. Er hat mich zu sich geholt, als niemand mich haben wollte. Eine gerade Volljährige mit quengelndem Kind und einer unglücklichen Vergangenheit. Wer hätte mir je eine solche Chance geboten?
Ich bin mir im Klaren darüber, dass ich einiges bei ihm gutzumachen habe. Solange ich lebe, solange er lebt, will ich mich als dankbar erweisen, weil er aus Janina Grottenhauer Nina Pelikan gemacht hat.
Ich weise ihn nicht zurück, als die Serie vorbei ist. Er lässt den Fernseher laufen, kriecht langsam in meine Sofaecke, grinst mich an, breitet die Arme aus, wartet, bis ich mich in ihn hineinfallen lasse. Früher habe ich unser kleines Ritual geliebt. Er bedeckt meinen Körper mit nassen Küssen, es saugt an meiner Haut, bis sich das Blut in kreisrunden Flecken bläulich staut. Er fährt mit seinen Pranken in mein Haar, zerrt daran, bewegt meinen Kopf von links nach rechts, wie es ihm gefällt. Ich schließe die Augen. Ich wünsche mir Schlaf. Und doch weiß ich, dass dieses – was immer es auch ist – mich davon abhalten wird. Es dauert Stunden. Er benutzt mich. Er dreht und wendet mich. Er spielt mit mir. Wenn ich keinen Laut von mir gebe, beschwert er sich, warum es mir denn keinen Spaß mache. Ich solle mich nicht so anstellen. Auch wenn er es mir nicht besorgen könne wie ein richtiger Kerl,
so habe er doch genug Phantasie, um mich glücklich zu machen. Er spreizt meine Beine. Er reißt meine Arme auseinander und stützt sich mit seinem ganzen Gewicht auf meinen Handgelenken ab. Er lässt sich auf mich fallen. Ich halte den Atem an, um nicht an seinem Körpergeruch zu ersticken. Er ist stolz auf sich, auf sein kleines Arsenal an Spielgeräten, welches in einem Weidenkorb neben dem Sofa auf seinen Einsatz wartet. Es sind Dinge, die fröhlich aussehen, die rasseln, wenn man sie einschaltet.
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