Die Wacholderteufel
Hause. Es ist schon nach sechs. Der Einkauf zieht meine Schulter nach unten. Ich bin viel zu spät, normalerweise sollte um diese Zeit das Essen auf dem Tisch stehen. Aber es hatte Ärger gegeben im Marktkauf. Ich habe mich mit Kunden angelegt und anschließend mit meiner Chefin. Sie hat mir gedroht, wenn ich nicht langsam wieder auf den Damm käme, wäre ich meinen Job los. Ich solle mich gefälligst konzentrieren. Und der Kunde sei König. Und ich … Wenn ich meinen Job los bin, ist alles zu Ende, denke ich.
Es ist still in der Wohnung, als ich die Tür öffne. Ich hänge meine Jacke an den Haken. Doch hier in meinen eigenen vier
Wänden trage ich einen Umhang aus Angst. Er drückt meine Schultern nach unten. Er macht mir das Atmen schwer. Er ist alt, aber ich muss ihn immer anziehen, wenn ich in die Wohnung komme. Irgendwie schützt er mich auch, Angst schützt doch den Menschen, das war schon immer so.
Warum ist es so still? Ich rufe nach Mattis. Seine Turnschuhe stehen mitten im Flur, er muss da sein. Er soll seine Latschen nicht immer so herumliegen lassen, er weiß doch, dass Hartmut es nicht ausstehen kann, wenn Dinge im Weg herumstehen. Ich bücke mich, hebe die Schuhe auf und stelle sie in den Schrank. Ich rufe wieder nach Mattis. Er antwortet nicht. Hinter seiner Zimmertür höre ich das Gedaddel des Gameboys. Mein Sohn ist auf einem anderen Level. Ich weiß, zu viel Nintendo ist schädlich, ich weiß, er sollte sich mehr bewegen, ich weiß das alles. Doch ich bin froh, dass er dort sitzt, in seinem Zimmer, die Augen auf den kleinen Bildschirm geklebt, ich kann ihn vor mir sehen, ohne die Tür zu öffnen.
Jetzt kommt eine Antwort. Aber nicht von Mattis.
Hartmut ruft vom Sofa her «Na endlich!» Ich ducke mich.
«Tut mir Leid, die Arbeit …», stammle ich. Und kusche mich in die Küche. Ein flacher Pizzakarton mit angekauten Resten liegt quer über der Spüle. Hartmut hat Kippen in die Salami gedrückt, der Gestank klebt förmlich in der Küche. Auf dem Spülschwamm liegt die leere Insulinspritze. Ich kenne schon lange keinen Ekel mehr. Drei Plastikbecher mit angetrockneten Resten von Schokopudding und Sahne verraten mir, was mein Sohn heute zu Mittag gegessen hat. Meine Hände räumen den Müll fort. Als ich mit dem Kochen beginne, ist es schon halb sieben. Mir läuft Schweiß am Rücken hinunter. Halb sieben ist viel zu spät. Das Fleisch brät in der Pfanne, Fett spritzt auf meinen Unterarm, es tut jedoch nicht weh. Mein Umhang schützt mich. Mir tut nie etwas weh, nicht mehr.
Zum Glück habe ich Steaks mitgebracht. Fleisch stimmt Hartmut
milde. Sie hatten bei Marktkauf Filets im Angebot. Ich mache dazu eine Rahmsoße und Kroketten. Gemüse lasse ich heute aus, weil mir die Zeit fehlt. Meistens bin ich sowieso die Einzige am Tisch, die sich für Vitamine interessiert. Und ich kann gerne verzichten. Hauptsache, wir haben Frieden, bis der Junge im Bett ist.
Das Essen hat mich gerettet. Es ist nichts davon übrig geblieben. Ich hatte schon befürchtet, es wäre vielleicht nicht genug, aber Hartmut hat sich bisher noch nicht beschwert. Er stochert mit dem Fingernagel zwischen den Schneidezähnen herum. Seit er seine Dritten hat, bleiben oft Essensreste in den Zwischenräumen hängen. Ich bringe ihm Zahnstocher. Ich kann den Blick nicht von ihm abwenden. Er trifft aus Versehen das Zahnfleisch, Blut vermischt sich mit Speichel, er ist verärgert und spuckt auf den Teller. Ich räume den Tisch ab, stelle die Teller in die Spülmaschine und wasche die Pfanne unter heißem Wasser ab. Mattis macht noch schnell seine Hausaufgaben. Er hat Probleme in Mathe. Ich versuche, ihm etwas zu erklären, aber meine Müdigkeit scheint ansteckend zu sein, Mattis gähnt. Er macht ein paar Fehler. Ich schimpfe mit ihm, er soll nicht so viel Nintendo spielen. Mit dem Lappen reibe ich die Soßenreste von der Tischplatte.
Hartmut raucht. Ich muss um seine aufgestützten Ellbogen herumwischen.
«Heute kommt meine Serie», sagt er. «Wollen wir einen gemütlichen Fernsehabend machen?»
Ich nicke und mir wird schlecht. Es gibt nichts Schlimmeres als gemütliche Fernsehabende.
Es ist halb acht, Mattis hat sich bereits fertig gemacht. Fast automatisch läuft es bei uns ab: Nach dem Essen Hausaufgaben und dann ab ins Bad, danach ins Zimmer, Gutenachtkuss und die Tür abschließen. Mattis hat sich noch nie darüber beschwert. Ich denke, ihm ist klar, dass es besser so ist. Nichts wäre schlimmer, als wenn er aus dem
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