Die Wacholderteufel
die ihr vorhin beim Betreten des Zimmers so einen Schrecken eingejagt hatten. Das andere Ende war nun auch rot.
«Ich hätte es schon viel eher machen sollen!», sagte Nina Pelikan, und ihre Arme, die eben noch so kraftvoll zum Schlag ausgeholt hatten, hingen schlaff herunter, als wollten sie sich von den Schultern lösen und neben der Tatwaffe zu Boden fallen.
35
Das Fest war zu Ende. Stefan Brampeter saß am Fuß der Externsteine, beobachtete die Feuerwehrleute und die Sanitäter, die alle so aufgeregt um die Stelle herumstanden, auf die der Wacholderteufel gelandet war. Die anderen Menschen unterhielten sich entweder aufgebracht in kleinen Grüppchen oder traten mit entsetzten Gesichtern der Heimweg an. Einige drängten sich neugierig nach vorn, um die Rettungsmaßnahmen an Ilja Vilhelm zu verfolgen oder den völlig verausgabten Dorfpolizisten als Held des Tages zu feiern. Gott sei Dank hatte Norbert Paulessen sich als so reaktionsschnell und mutig erwiesen – niemand hätte das je von dem Bad MeinbergerOrdnungshüter erwartet –, aber es war seinem Einsatz zu verdanken, dass der Wacholderteufel in letzter Sekunde doch noch das sichere Sprungtuch getroffen hatte, als er, von einem Erstickungsanfall geschwächt, in die Tiefe gestürzt war. Noch war absolut unklar, was überhaupt passiert war. Irgendeine ostfriesische Kommissarin sollte angeblich eine Warnung per Handy losgelassen haben, aber die genauen Zusammenhänge konnte – und mochte – Stefan Brampeter zu diesem Zeitpunkt nicht nachvollziehen. Wie das Chlorgas in die Nebelmaschine gelangt war, schien ebenso ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Es musste sich um einen gezielten Anschlag gehandelt haben, wahrscheinlich ließ sich so auch das Verschwinden des Schlüsselbundes erklären. Waren gestern nicht merkwürdige Geräusche im Wald zu hören gewesen? Und dann die fremden Spuren im matschigen Boden. Jemand musste die Gelegenheit genutzt haben und in der Zeit, wo Stefan Brampeter hinter dem Schuppen nach den Leitern gesucht hatte, den Schlüssel entwendet haben. Dies bedeutete, dass Stefan bei seinen Vorbereitungen für das Fest beobachtet worden sein musste. Eine unheimliche Vorstellung. Warum aber sollte ein solcher Anschlag ausgerechnet auf seiner Wintersonnenwende verübt werden? Es war nicht zu glauben. Und es war fast zum Heulen.
Stefan saß allein auf einem provisorischen Campinghocker und strich mit der Hand über eines seiner Holzräder. Es war noch heil. Sie waren alle zwölf nicht zum Einsatz gekommen. All die liebevolle Arbeit umsonst. Dabei hatte alles so wunderbar begonnen.
So geht es viel zu oft, dachte Stefan Brampeter und trank einen Schluck Wacholderschnaps, den Konrad Gärtner ihm vorhin gegen die Kälte gegeben hatte. Da malt man sich etwas fein säuberlich aus, und dann …
Als Stefan Brampeter die Frau getroffen hatte, war sein Leben in Scherben zerfallen. Er musste zugeben, makellos war es schon vorher nicht gewesen. Das Schicksal hatte ihm einen toten Bruder beschert, hatte ihm das Idol seiner Kindheit genommen und den einzigen Menschen geraubt, dem er je nah gewesen war. Er hatte lange Zeit gedacht, Janina Grottenhauer sei dabei Handlangerin gewesen.
Und als er diese Frau getroffen hatte, war ihm das Ganze, seine ganze zurechtgepuzzelte Wahrheit, zum ersten Mal als das erschienen, was es in Wirklichkeit war: ein Trugbild. Nina Pelikan hatte ihm die Augen geöffnet. Und sein Leben zerstört.
Es wäre besser gewesen, er wäre Mittwochnacht einfach nach Hause gegangen, hätte dieses blöde Holzrad im Lindenhof vergessen und seinen Rausch ausgeschlafen. Doch stattdessen hatte es ihn aus dem Ort heraus Richtung Wällenweg getrieben, die
Sazellum -Klinik
im Visier. Im Geiste hatte er sich die Begegnung mit Janina Grottenhauer ausgemalt, er sah sie immer noch als das jugendliche Mädchen seiner Erinnerung vor sich. In seiner Phantasie war er unter ihren Balkon getreten und hatte ihren Namen gerufen. Von Konrad Gärtner und den anderen Wacholderteufeln, die vor drei Nächten die Kostüme in der Klinik abgegeben und sich bei der Gelegenheit einen üblen Scherz unter Janinas Fenster erlaubt hatten, wusste er ja, welches ihr Zimmer war und das es etwas abseits von den anderen über dem Pavillon lag. Er hatte sich vorgestellt, wie sie ihm völlig verängstigt gegenüberstand und seine Vorwürfe über sich ergehen ließ:
«Du hast Ulrich getötet. Du bist absichtlich mit dem Auto über meinen Bruder gerollt und hast mir
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