Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
den Geschichten, die auch er kannte, ein Gesicht zu geben, hätte es ausgesehen wie das des gefesselten Mannes auf dem Stroh. Nicht der Parzival, der im Wald zum ersten Mal den Rittern begegnete und glaubte, Engel vor sich zu haben, sondern der Parzival, dem der Gral versagt geblieben war und der wie ein verzweifelter Schemen durch das Land zog, allem entsagend, nur einem nicht: dem Glauben, dass er alles wiedergutmachen würde, sobald er nur eine zweite Chance bekäme.
Der Gefangene sagte mit sonorer Stimme: »Schön, mal ein paar andere Gesichter zu sehen. Setzen Sie sich, und machen Sie es sich bequem.«
Bevor Filippo Worte finden konnte, hörte er das Stampfen von Pferdehufen, dann wurde die Tür erneut aufgestoßen. Erdrehte sich erschrocken um. Heinrich stand gebeugt in der niedrigen Öffnung, die Augen irr. Er würdigte weder Filippo noch die Idiotin eines Blickes, sondern stapfte zu dem Gefangenen hinüber und zog seine Pistole. Filippo hörte das Knacken des Hahns. Der Gefangene musterte Heinrich mit derselben Unbeugsamkeit, die Filippo sich auch auf den Zügen der jungen Frau vorgestellt hatte. Für einen Moment verwirrten sich die Bilder in Filippos Kopf, das der aufrecht stehenden jungen Frau mit der Pistolenmündung an der Stirn und das des sitzenden Gefangenen im Stroh.
»Ich habe eine Überraschung für dich«, krächzte Heinrich. »Zwar habe ich mir das alles etwas anders vorgestellt, aber so, wie es ist, ist es auch in Ordnung. Das Ende ist sowieso dasselbe. Dein Ende.«
11
» Du versprichst mir das Ende schon so lange, dass ich mich fast danach zu sehnen beginne, Henyk.«
Heinrich grinste. Er hob die Pistole.
»Hören Sie auf …«, ächzte der Pfaffe. Heinrich warf ihm einen Seitenblick zu, dann spannte er den Hahn.
»Diesmal habe ich geladen, Pfaffe«, sagte er. »Was hältst du davon?« Er wandte den Blick ab. »Gehörst du zu denen, die man mit drei Kugeln töten muss, Cyprian? Meine dritte Kugel steckt hier drin.«
Cyprian Khlesl antwortete nicht. Heinrich griff mit der freien Hand in seine Jacke und warf ihm einen Schlüssel zu. Cyprian fing ihn auf. Isolde ahmte mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole nach. Der Daumen schnellte nach unten. Isolde rief: »Wumm!« Sie lachte erneut.
»Mach die Kette ab. Eine falsche Bewegung, und dein Hirn verteilt sich an der Wand hinter dir.«
Cyprian schloss die Kette auf und rieb sich dann den Knöchel. Heinrich beobachtete ihn. Er spürte, dass das Grinsen in seinem Gesicht aussah wie das eines Verrückten, aber er konnte nicht damit aufhören.
»Leg die Schelle um dein Handgelenk, und schließ wieder zu.«
Cyprian machte Anstalten, sein linkes Handgelenk zu fesseln. Heinrich machte ein tadelndes Geräusch zwischen den Zähnen und stieß ihm die Mündung so hart an die Schläfe, dass der Ruck sein eigenes Handgelenk prellte. Cyprian blinzelte wegen des plötzlichen Schmerzes, dann legte er die Schelle um sein rechtes Handgelenk. Heinrich nahm die Pistole weg. Auf der Haut an Cyprians Schläfe schimmerte ein weißer Ring, der sich mit einem Bluterguss füllte. Heinrich fühlte das unwiderstehliche Bedürfnis, Cyprian noch weiter zu demütigen. Sein Blick fiel auf die Laterne. Er machte eine Kopfbewegung zu Filippo hin.
»Es muss noch Tran darin sein. Anzünden!«
Filippo fand Feuerstein und Schwamm und schaffte es, mit zitternden Fingern, einen Docht in Brand zu setzen. Schließlich glomm die Laterne auf. Heinrich wog sie in der Hand. Cyprian sah ihm in die Augen. Er ließ sich nicht anmerken, ob er verstanden hatte, aber Filippos Atem ging auf einmal pfeifend. Heinrich versenkte sich in Cyprians Augen und hoffte, dass dieser darin sah, wozu Heinrich jederzeit die Macht hatte: die Laterne ins Stroh zu schleudern, die Hütte anzuzünden und dann dabei zuzusehen, wie Cyprian, an die lange Kette gefesselt, versuchte, dem Feuer zu entkommen. Er würde es lange Zeit schaffen – bis es keinen Ort mehr gab, der nicht in Flammen stand.
»Um Gottes willen«, sagte Filippo. Heinrich schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. Eine kleine Bewegung des Handgelenks, und die Laterne landete im Stroh, der Tran spritzte heraus und entzündete es. Cyprians Augen zuckten einmal.Heinrich sah es mit einem Gefühl heißen Triumphs. Er beschloss, ihn noch weiter auszukosten.
»Es heißt Abschied nehmen, Cyprian«, sagte Heinrich. »Filippo, nimm Isolde auf dein Pferd.«
Er drehte sich um. Filippo hatte sich nicht geregt. Die irrsinnige Hoffnung stieg in Heinrich auf,
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