Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
setzte sich nur hin. Das zerrissene Gewand klaffte noch weiter auf. Auf ihrer Stirn erschien eine Falte milder Irritation, dann stopfte sie den herabhängenden Zipfel Gewand unter der Achsel fest und musterte ihn mit dem gleichen unbeschwerten Grinsen wie vorher. Ihr Mund arbeitete, und ein Faden Spucke trat hervor und lief auf ihr Kinn.
»Umdrehen!«
Filippo folgte der Aufforderung. Das Erste, was er sah, war die Mündung einer langläufigen Pistole, die mit beiden Händen gehalten wurde. Die Mündung zitterte nicht, sondern war mit besorgniserregender Ruhe zwischen seine Augen gerichtet. Nur die Stimme der Person verriet ihre Anspannung. Ein Reisemantel mit Kapuze hüllte sie ein, doch es gab keinen Zweifel, dass es sich um eine Frau handelte.
Sie sah, wie seine Augen zuckten, doch es war zu spät. Heinrich, der schon hinter ihr gestanden hatte, als Filippo sich noch umgedreht hatte, hielt ihr seine eigene Pistole an den Hinterkopf und sagte heiser: »Dreh dich selber um.«
Sie ließ die Pistole sinken. Filippo erkannte bestürzt, wie in Sekundenschnelle ein Sturm an Gefühlen über ihre Züge huschte: Überraschung, Erleichterung, Freude – und dann Erschrecken, Misstrauen, Furcht und zuletzt Wut.
»Du schießt nicht«, sagte sie, ohne dem Befehl nachzukommen.
Heinrich spannte den Hahn. Das satte Doppelklicken war laut in der plötzlich eingetretenen Stille zu hören. Hinter sich vernahm Filippo das Summen der Frau auf dem Boden, von der ihm mittlerweile klar geworden war, dass sie eine Idiotin war. Die Augen der Frau mit dem Reisemantel verengten sich. Zuletzt ließ sie die Pistole fallen.
»Na los«, sagte Heinrich mit einer Kopfbewegung zu Filippo. Er bückte sich, hob die Waffe mit tauben Fingern auf und spähte in die Pulverpfanne.
»Nicht geladen«, sagte er und war nicht einmal verwundert. Er schleuderte sie von sich.
»Mir ist schnell klar geworden, dass wir zwei Flüchtlinge verfolgen«, sagte Heinrich, der seine Pistole immer noch an den Kopf der Frau hielt. »Ich dachte nur nicht, dass du es wärst.« Verspätet erkannte Filippo, dass es Wut war, die Heinrichs Stimme zusammenpresste, und dass sie nicht weniger groß war als die der Frau, die er mit seiner Waffe bedrohte. Er spürte Gefühle zwischen den beiden, die so stark waren, dass sie das ganze Gebüsch in Brand hätten stecken können.
Schließlich drehte sie sich um und schob die Kapuze zurück. Filippo sah eine Mähne lockigen, dunklen Haares. Heinrich hielt die Waffe noch ein paar Herzschläge lang auf sie gerichtet, dann nahm er sie herunter. Es fiel ihm so schwer, dass sein Arm zu beben begann.
»Und dich habe ich geliebt«, sagte die Frau.
Heinrich starrte sie an. Sein Gesicht rötete sich erschreckend. Die Pistole wanderte langsam wieder nach oben, er zitterte immer stärker und brüllte plötzlich: »ICH HABE DICH NIE GELIEBT!«
»Nein!«, stieß Filippo hervor und wollte einen Schritt nach vorn machen. Er ahnte, was passieren würde. Er war viel zu langsam.
Heinrich presste ihr die Mündung auf die Stirn. Sein Gesicht verzerrte sich, bis es nichts Menschliches mehr an sich hatte. Dann drückte er ab.
9
» Wo hast du so reiten gelernt?«, fragte Wenzel und versuchte zu ignorieren, dass sein Hintern sich anfühlte, als hätte ihm ein Landsknecht einen Tag lang hochmotiviert hineingetreten.
Agnes lächelte dünn. »Dein Vater, dein Onkel und ich haben ein Geschäft aufgebaut«, sagte sie. »Am Anfang waren wir alle ständig unterwegs.«
»Ich meine so.« Er deutete verlegen auf ihren Sattel. Es war ein Männersattel.
»Es gibt zwei Möglichkeiten zu reiten: schnell und sicher – oder im Damensattel. Mir war die erste Alternative immer lieber.«
»Ich hatte gehofft, dass wir unterwegs Hinweise auf Alexandra erhalten würden.«
»Ich auch. Aber niemand scheint sie gesehen zu haben. Sie haben sich von den Leuten, so gut es ging, ferngehalten.«
»Wenn …«, begann er und brach wieder ab. Seine Tante musterte ihn.
»Nein«, sagte sie dann. »Wenn etwas geschehen wäre, dann hätten wir davon gehört.« Ihre Stimme klang bei Weitem nicht so grimmig, wie sie es sich wahrscheinlich selbst wünschte.
Wenzel sah zu Boden und beobachtete sein Pferd dabei, wie es Gras ausrupfte. Er fuhr mit der Hand unter den Sattel. Das Fell war noch immer heiß und schlüpfrig von Schweiß. Ihm schien, als seien sie über die stets weiter werdende Dünung des Landes östlich von Prag förmlich hinweggeflogen und hier gelandet, an einer
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