Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
Familie vereint sein. In der Hölle.«
12
Wenzel bewunderte Agnes für die Ruhe, die sie dem Anschein nach bewahrte. Er hatte in ihren Augen gesehen, dass sie mindestens ebenso viel Angst um Alexandra hatte wie er selbst, doch sie ließ sie kaum nach außen dringen. Sie war darin Cyprian sehr ähnlich. Die alten Geschichten, die er oft gehört hatte, aus dem Jahr, in dem sie und Wenzels Vater einander zum ersten Mal gesehen und festgestellt hatten, dasssie Geschwister waren, wirkten erst jetzt glaubwürdig, da er sie so zielbewusst und gefasst erlebte. Er selbst konnte kaum stillhalten, wenn sie absaßen, um den Pferden Ruhe oder Nahrung zu gönnen.
Mit Erleichterung sah er die Wegkreuzung, von der Agnes gesprochen hatte. Von hier aus führte die Straße geradewegs nach Brünn; am Abend würden sie dort sein. Mit etwas Glück hatten Vilém Vlach und Andrej bereits die Suche nach Alexandra aufgenommen. Sie waren mit einem Tag Vorsprung aufgebrochen. Wenzel hatte vor Ungeduld gestöhnt. Er hätte seinen rechten Arm dafür gegeben, sie zu begleiten, aber er war an Agnes’ Seite geblieben. Adam Augustýn hatte sich auch weiterhin als vertrauenswürdig erwiesen und hatte in seinem Haus alle Schreiber und Buchhalter der Firma versammelt, die er hatte überreden können, auf gut Glück dem Haus »Khlesl & Langenfels« weiterhin die Treue zu halten. Es waren erstaunlich viele gewesen, und sie hatten sofort begonnen, Augustýns Haus in ein Kontor zu verwandeln, in dem sie zwischen krabbelnden Kindern, Holzspielzeug und einer mit militärischer Effizienz von Augustýns Frau geleiteten kleinen Kochtruppe gemeinsam den Teil der Firma zu retten versuchten, auf den der König nicht die Hand legen konnte. Dies hatte organisiert werden müssen, ebenso die Unterbringung von Andreas und Klein-Melchior, die sich letztlich ebenfalls bei den Augustýns eingefunden hatten. Dass all das innerhalb eines einzigen Tages auf die Beine gestellt werden konnte, war zum großen Teil Agnes’ Verdienst gewesen. Dennoch, ein Tag war verloren gegangen, und Wenzel hatte, obwohl Agnes ihn genauso wie alle anderen herumgeschickt hatte, auf seine Knöchel beißen müssen, um nicht zu schreien vor Ungeduld.
Er trieb sein Pferd an. Die Straße, die nach der Wegkreuzung mit der gleichen Breite nach Brünn weiterführte, schien ihm zu winken.
Die Wegkreuzung bestand aus der üblichen kleinen Baumgruppe, darunter eine mächtige, uralte Linde, die darauf hinwies, dass hier früher ein Galgen gestanden haben musste. Nun gab es nur noch ein Kruzifix, und vor ihm kniete, ebenfalls ein vertrautes Bild, eine betende Gestalt. Wenzel bekreuzigte sich, ohne anzuhalten. Er versuchte, ein Stoßgebet zurückzuhalten: Heilige Jungfrau Maria, beschütze Alexandra! Denn er fühlte, dass jemand, der die Mächte des Himmels dazu aufrief, seine Lieben zu beschützen, bereits resigniert hatte und nicht glaubte, selbst dazu in der Lage zu sein. So weit war er noch nicht! Er flüsterte: »Herr, gib mir die Kraft, alles richtig zu machen!« Dann änderte er die Worte ab in: »Herr, ich danke dir, dass du mir die Kraft gegeben hast, alles richtig machen zu können.« Bitte lass sie mich zur rechten Zeit finden, setzte er in Gedanken hinzu. Schließlich stellte er fest, dass er Agnes abgehängt hatte.
Er zügelte sein Pferd und wendete es. Agnes’ Gaul stand ohne Reiterin neben der Straße und rupfte das hohe Gras zu Füßen der Baumgruppe. Verwirrt und mit aufkeimender Angst richtete er sich im Sattel auf. Da sah er sie neben dem Kruzifix auf dem Boden kauern. Sie würde ebenso wenig wie er die Zeit opfern, um abzusteigen und ein Gebet zu sprechen, das wusste er. Sie vertraute wie er darauf, dass Gott es nicht brauchte, dass sie alle paar Meilen vor ihm auf die Knie fielen. War sie vom Pferd gestürzt? War sie verletzt? Doch dann sah er, dass die gebückte Gestalt, die er zuvor gesehen hatte, in ihren Armen lag. Er setzte sich im Sattel zurecht und sprengte zur Wegkreuzung zurück.
Agnes sah zu ihm auf, mit Tränen in den Augen. Die Betende war eine schluchzende Alte. Wenzel erkannte sie, er hatte sie einmal in ihrem todesähnlichen Schlaf in ihrer Kammer im Haus der Khlesls gesehen.
»Leona?«, fragte er ungläubig.
Die alte Frau sah ihn mit tränenüberströmtem Gesicht an. »Jetzt wird alles gut«, flüsterte sie.
Agnes drückte sie an sich. »Ich würde Leona bei Nacht und Nebel erkennen«, sagte sie. »Als ich die Gestalt vor dem Wegkreuz beten sah, wusste ich
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