Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
lag, aber er war nicht sicher. Er versuchte zu schlucken und stellte fest, dass sein Mund trocken war. Er wusste nun, was er tun musste, nur dass es nicht das war, was er mit Agnes vereinbart hatte.
»Isolde, deine Mutter ist gekommen, um dich zu holen.« Er bemühte sich, nicht vor Hektik zu keuchen.
Ihr Kopf schnappte herum. Unter Tränen begann sie zu strahlen. Sie wollte aufspringen, aber er hielt sie fest.
»Leise!«, zischte er. »Isolde, damit deine Mutter dich hier wegbringen kann, müssen wir zuerst noch etwas erledigen.«
Sie starrte ihn an. Unwillkürlich hob er die Hand und wischte ihr mit dem Handballen das Kinn ab. Sie grinste wie ein kleines Kind.
»Du musst mich in die Burg hineinbringen! Gibt es irgendwo einen geheimen Eingang?«
Es war so einfach, dass es fast schon beschämend war. Isolde zog das Gitter der kleinen Kapellengrotte auf, zwängte sich in einen Spalt zwischen der Rückwand der Kapelle und dem aus roh behauenen Steinen gemauerten Altar und war verschwunden. Wenzel folgte ihr und sah eine offen stehende Klappe im Boden. Isolde stand schon auf der schmalen Leiter, die nach unten führte. Wenzel folgte ihr. Der Weg musste aus der Zeit stammen, als Pernstein sich noch gegen Angriffe von außen verteidigen musste – eine letzte Fluchtmöglichkeit für die Familie des Burgherrn, wenn alles verloren schien. Wenzel wusste nicht, ob er jemals gemäß seiner Bestimmung verwendet worden war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Feinde selbst vor Hunderten von Jahren versucht haben sollten, diesen Monolithen von einer Burg anzugreifen. Jedenfalls hatte Isolde den Gang gefunden. Es waren immer die Unschuldigen, die auf solche Dinge stießen.
Er musste sich bücken, um hindurchzupassen. Der Gang war in den Fels getrieben worden, auf dem die Burg ruhte, und ging steil nach oben. Die Feuchtigkeit machte den Boden schlüpfrig, und auch wenn er einmal roh behauen gewesen sein mochte und nie von heimlichen Flüchtlingen glatt gescheuert worden war, war er doch so glitschig wie nasser Marmor. Schon nach wenigen Dutzend Schritten war es völlig dunkel. Er tastete sich mit beiden Händen an der Wand links und rechts voran, teils wegen seiner ausgleitenden Füße, hauptsächlich aber wegen der Schwärze um ihn herum. Die Angst eines Wesens, das vom Tageslicht lebt und in der Finsternis einer lichtlosen Höhle gefangen ist, überfiel ihn und ließ seine Kehle eng werden. Die Nässe, die von der Wand herunterlief, hatte Bewuchs daran möglich gemacht. Wenzel tappte in weiche, schleimige Massen, die unter seinen Händen nachgaben. Er schüttelte sich und mochte sich nicht vorstellen, wie dieser Bewuchs im Licht aussehen würde, aber er brachte es auch nicht über sich, die Wände loszulassen. SeineSchritte hallten in der engen Röhre, und sein eigener Herzschlag machte ihn fast taub. Wenn Isolde nicht ab und zu gekichert hätte, hätte er schon nach kurzer Zeit geglaubt, hier unten allein zu sein.
Dann blieb sie abrupt stehen, und er rannte gebückt in sie hinein. Sie stolperte nach vorn, seine Füße glitten aus, und er fiel auf sie. Der Gang war abschüssig genug, dass er zurückrutschte. Instinktiv hielt er sich an ihr fest und zog sie mit sich. Sie glitten etliche Mannslängen zurück, bevor seine Stiefel Halt auf einem raueren Stück Boden fanden. Er keuchte. Sie kicherte erneut, und langsam wurde ihm bewusst, dass sie sich umgedreht haben musste und er auf ihr lag wie ein Liebhaber. Er murmelte etwas Unzusammenhängendes und versuchte, sich aufzurichten, aber sie hielt ihn mit beiden Armen fest. Im nächsten Moment fühlte er einen triefend nassen Kuss auf seiner Wange.
»Ja«, sagte er verzweifelt, »ja, ich mag dich auch. Ich …«
Und dann wurde ihm klar, warum sie weiter oben so abrupt stehen geblieben war. Vorsichtig legte er ihr eine Hand auf den Mund.
Er hörte Stimmen.
22
Wenzel verstand nicht, was die wuchtige Apparatur bedeutete, und durch den Spalt im trocken gewordenen Holz der Tür konnte er sie auch nicht zur Gänze überblicken. Alles, was er sah, war ein junger Mann, der blendend ausgesehen hätte, wenn sein langes Haar nicht wirr und verschwitzt um sein Gesicht gehangen hätte und wenn dieser Ausdruck von unbändigem Hass nicht gewesen wäre, der seine Züge verzerrte. Der junge Mann trug eine hölzerne Stange und hatte sie sich über die Schultern gelegt. Seine Hände baumelten darüber in einer Pose der Entspanntheit, die auf den zweiten Blick so verkrampft wirkte, dass
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