Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman
man das Gefühl bekam, er müsse sich in Wahrheit an der Stange festhalten, um nicht die Contenance zu verlieren.
Der Raum befand sich im Erdgeschoss des Bergfrieds. Wenzel hatte zunächst vergeblich versucht, Isolde abzuschütteln. Zuerst hatte sie sich an ihn gehängt wie eine Katze, die einem um die Beine streicht, dann hatte sie wieder in ihr altes Selbst zurückgefunden und war kichernd und händeklatschend durch den Gang gekrochen. Doch als sie die Abzweigung erreicht hatten, die zu der Tür in den Raum des Bergfrieds führte, war sie zurückgeblieben, die Stirn gefurcht und die Augen düster. Er brauchte keine weitere Bestätigung mehr, um zu wissen, dass der junge Mann in dem Raum derselbe war, der oben auf der Brücke gestanden hatte, und Wenzel war sicher, dass es sich bei ihm um Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz handelte. Was immer er Isolde getan hatte, es musste sie so massiv verletzt haben, dass ihr nicht einmal ihre fröhlich-verstandesleere Vergesslichkeit darüber hinweghalf.
Wenzel versuchte, so leise wie möglich zu atmen. Eigentlich hätte er dem geheimen Gang weiter nach oben folgen wollen, doch eine der beiden Stimmen, die er gehört hatte, hatte ihn auf den Fleck gebannt. Er presste sein Gesicht gegen den Spalt und sah den Rücken eines Mannes, der mit ausgestreckten Armen an zwei Seile gefesselt war, die zu einer für Wenzel unsichtbaren Stelle an der Decke führten. Die Kleidung des Mannes bestand aus einem dreckigen Hemd und einer zerrissenen Hose, sein Haar war eine verfilzte Matte. Wenzel musste sich auf die Zunge beißen. Er hatte die Stimme richtig erkannt.
Der gefesselte Mann war Cyprian Khlesl.
Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz machte eine Kopfbewegung zu der Mechanik hinüber.
»Ich brauche nur die Halterung herauszuschlagen, und die Kontergewichte zerreißen dich in zwei Teile – wenn ich deine Füße vorher auf dem Sockel der alten Tormechanik festschnalle, sogar in vier. Weißt du, wer Franois Ravaillac war?« Heinrich bewegte den Oberkörper, so dass man sehen konnte, dass das eine Ende der Stange auf seinen Schultern in einem dicken hölzernen Kopf endete wie ein Trommelschlegel.
Cyprians Stimme grollte: »Wo ist Alexandra?«
Wenzel hielt den Atem an. Es war die Frage, die auch ihn am meisten interessierte.
»Es läuft folgendermaßen ab«, sagte Heinrich. »Wir gehen dort hinaus, nur du und ich. Ich habe keine Waffe, du hast keine Waffe. Wenn du es schaffst, mich mit bloßen Händen zu besiegen, kannst du deine Tochter mit nach Hause nehmen. Wenn ich siege, kannst du dich nur noch entscheiden: Soll sie dir beim Sterben zusehen, oder willst du ihr zusehen?«
Zu Wenzels Überraschung hörte er Cyprian lachen.
»Du willst gegen mich kämpfen?«
»Ich habe schon einmal gegen dich gekämpft und dich bezwungen. Glaubst du, ich habe jetzt Angst, zu verlieren?«
»Die Angst hast du schon dein Leben lang.«
»Du weißt nicht, was wirklich Angst heißt«, zischte Heinrich. »Bevor dieser Abend vorüber ist, wirst du alles darüber wissen.«
Cyprian sagte nichts.
»Der Tod«, sagte Heinrich. »Ein langsamer, schmerzvoller, grauenhafter Tod für dich und deine Tochter. Willst du dich nicht lieber ergeben, Cyprian Khlesl? Vielleicht bin ich barmherzig und kürze euer Leiden ab?«
»Jemand hat einmal gesagt: Wenn dich der Tod nicht als Sieger antrifft, soll er dich wenigstens als Kämpfer finden.«
»Ist er kämpfend untergegangen, dieser kluge Mann?«
»Er hat nicht um Gnade gewinselt, als seine Zeit gekommen war. Ich bezweifle, dass du diese Einstellung verstehst.«
Heinrich nahm den Schlegel von seinen Schultern und stützte sich darauf. Er grinste wie ein Wolf.
»Bevor dies hier vorbei ist, werde ich dich winseln hören.«
Er hob den Schlegel auf und drosch in einer einzigen, fließenden Bewegung mit dem verdickten Ende gegen Cyprians Oberkörper. Cyprian krümmte sich in seinen Fesseln und keuchte laut auf. Wenzel starrte schockiert durch die Türspalte. Der Schlag musste Cyprian wenigstens zwei Rippen gebrochen haben; er hing halb besinnungslos in seinen Fesseln. Heinrich trat an ihn heran und fuhr mit der Hand über die Stelle, an der er Cyprian getroffen hatte. Er drückte fester, und Cyprian zuckte zusammen und ächzte.
Heinrich lächelte und brachte seinen Mund nahe an Cyprians Ohr. »Kämpfen macht nur Sinn, wenn sicher ist, dass der Tod dich als Sieger antreffen wird«, flüsterte er. Dann wandte er sich ab und riss die Tür auf, die nach draußen
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