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Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman

Titel: Die Waechter der Teufelsbibel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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namenlos. In seiner Erinnerung hörte er die Stimme seiner Amme sagen, dass die bösen Buben alle einmal vom Teufel geholt und auf unvorstellbare Weise eine ganze Ewigkeit lang gequält werden würden. Er hatte sich damals stets vor Furcht geschüttelt, und die Furcht des kleinen Jungen, der etwas ausgefressen hatte und nun mit ewiger Verdammnis bedroht wurde, sprang über zwanzig Jahre hinweg und packte seine Seele.
    »Helfen Sie mir«, brachte er hervor.
    Sie war ihm so nahe, dass er die Schatten unter der Schminke sah. Die Schönheit jedes anderen Gesichts wäre durch einen noch so leisen Makel menschlicher geworden; ihres hingegen wirkte nur noch geheimnisvoller, noch entrückter, noch kälter. Er schluckte krampfhaft. Wenn sie ihn küsste, würde er sich übergeben. Danach würde sie ihn zerquetschen wie eine Laus. Als sie sich von ihm abwandte, fühlte er sich so erleichtert, dass ein fassbares Gewicht von ihm wich.
    »Es gibt zwei Prinzipien«, sagte sie. »Für das eine interessieren wir uns und nennen es Gott. Das andere interessiert sich für uns; die Pfaffen nennen es den Teufel.«
    Ignatz schielte das Bild an. Auf den zweiten Blick war es nicht mehr so schockierend – ein Abbild des Leibhaftigen, der grinsend aus der Seite heraus in die Welt fasste.
    »Ich muss Ihnen nicht helfen«, wisperte die Frau in Weiß. »Im Gegenteil, ich brauche Ihre Hilfe. Und ich habe zwei Geschenke für Sie.«
    »Meine Hilfe?« Ein dünnes Stimmchen in seinem Inneren, das noch zu erschüttert war, um sich lauter bemerkbar zu machen, fragte: Geschenke? Geld?
    »Zunächst das erste Geschenk.«
    Einer der Männer neben dem Pult trat vor und nestelte an einem Ledersäckchen. Als er es umdrehte, hielt Ignatz unwillkürlich die Hand darunter. Ein kleines Gewicht fiel heraus. Es war kühl. Ignatz starrte es an. Es schimmerte matt in seiner Hand, ein vage rechteckig geschliffenes, fingernagelgroßes Stück Gold.
    »O Gott!« Er riss die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Das Goldstück hüpfte klickernd über den Boden. »Ist das …?«
    »Diakon Matthias trug ihn statt des linken oberen Eckzahns«, sagte seine Gastgeberin. »Jedenfalls hat man mir das gesagt. Haben Sie verstanden, dass ich sagte: trug ?«
    Ignatz zitterte haltlos. Zugleich begann das Stimmchen, das nach dem Geschenk gefragt hatte, zaghaft zu jubilieren.
    »Sie wollten fragen: Was ist geschehen?«, soufflierte sie.
    Ignatz krächzte irgendetwas.
    Sie seufzte. »Es sieht aus, als habe sich der Diakon im Gefängnis an jemanden herangemacht, der sich davon abgestoßen fühlte. Am Ende des Handgemenges lag der Diakon mit gebrochenem Hals auf dem Boden.«
    »Ah …«, machte Ignatz und fühlte sich nicken. Er hätte auch genickt, wenn es geheißen hätte, ein Drache wäre aus dem Abtrittloch gekrochen und habe den Diakon in seine Höhle auf dem höchsten Berg der Welt verschleppt.
    »Sie wollten sagen: danke.«
    »Danke«, sagte er. Nach und nach schaffte er es, sein Entsetzen und seine Fassungslosigkeit abzuschütteln. Er begegnete ihrem eiskalten Blick und konnte ihm nicht standhalten. Er ahnte, was von ihm erwartet wurde. »Und wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich werde es Ihnen gleich erklären. Aber jetzt … das zweite Geschenk!«
    Die beiden Männer verließen ihre Posten neben dem Pult und traten hinter die auf dem Boden knienden Mönche. Mit einem gleichzeitigen Ruck rissen sie ihnen die Kapuzen von den Köpfen und die Kutten bis zum Bauchnabel auf. Ignatz’ Augen traten aus den Höhlen.
    »Wählen Sie«, flüsterte die Stimme eines Engels die Worte des Teufels in sein Ohr. »Das erste Geschenk war von mir. Das zweite kommt von Ihm.« Er musste den Blick nicht abwenden, um zu wissen, dass sie auf das Buch deutete.
    Die Mönche waren keine Mönche. Zu seiner Linken kniete eine junge Frau mit bloßen Brüsten und aufgelöstem Haar auf dem Boden. Ihr Gesicht war bleich. Sie schwankte leicht von dem Ruck, der sie entblößt hatte. Es schien, als sei sie betrunken oder in Trance. Der falsche Mönch zu seiner Rechten hatte einen ebenso blütenweißen, haarlosen Oberkörper, doch ihn zierten die Muskelstränge einer arbeitsreichen Existenz auf einem flachen Brustkorb. Er starrte in die Augen, auf die geblähten Nüstern, die zitternden Lippen des jungen Mannes. Auch er schien nicht ganz auf dieser Welt zu sein.
    »Wählen Sie«, wiederholte sie.
    Das Stimmchen in Ignatz’ Innerem, das an Kraft gewonnen hatte, sprach laut: »Muss ich wählen?«
    Sie lachte.

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