Die Waechter von Marstrand
bekommen hatte, wirkte der Mann vor ihr noch immer sehnig und stark.
»Ihnen ist nicht zufällig jemand begegnet?«, fragte er.
»Nein, wer sollte das gewesen sein?«, gab Agnes zurück.
Daniel machte sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten.
»Und wohin sind Sie unterwegs?«, fragte er.
»Zu meiner Tochter. Und selbst?« Ihre Angelegenheiten gingen den Mann nichts an.
Er lächelte amüsiert über ihre Frage.
»Ich suche nach einem Rindvieh, das vom Bremsegård abgehauen ist.«
»Aber das Gatter ist doch geschlossen«, sagte Agnes verwundert.
»Es muss über den Berg geklettert sein.«
Agnes schüttelte den Kopf. Ihr war klar, dass er von der Holländerin sprach. Agnes sah dem Mann fest in die Augen und achtete darauf, ihren Blick nirgendwohin schweifen zu lassen, damit er nicht auf den Gedanken kam, dass sie auch nach der Frau suchte, mit der sie sich vor kurzem unterhalten hatte.
Agnes war nervös, bis sie ihre Tochter im Garten die Wäsche aufhängen sah. Da ergriff ein anderes Gefühl Besitz von ihr. Leere. Eine Mischung aus Trauer und Sehnsucht. Zwei kleine Mädchen hätten auf diesem Hof herumrennen können, aber der Herrgott hatte andere Pläne gehabt. Noch hatte Lovisa nicht darüber gesprochen. Sie wollte auch nicht, dass jemand sie zu den Gräbern begleitete. Agnes hoffte, dass sie wenigstens mit ihrem Mann sprach, dass die beiden sich gegenseitig trösteten, aber trotz allem hatte Lovisa die Kinder ausgetragen. IhrLeib hatte sich gerundet, sie war guter Hoffnung gewesen. Agnes träumte noch immer, von dem fröhlichen kleinen Mädchen, das die Arme nach ihrer Großmutter ausstreckte und immer so überschäumend lachte. Es verging kein Tag, ohne dass Agnes an die Kleine dachte.
In der Küche packte Agnes den Korb aus. Sie zerbrach sich den Kopf darüber, ob sie Lovisa von der Frau erzählen sollte, die sie getroffen hatte. Früher hatten sie über alles gesprochen, aber mittlerweile war Agnes vorsichtig geworden und sparte manches aus.
»Danke, liebe Mutter.« Lovisa umarmte sie. Agnes drückte sie an sich und strich ihr genauso über das Haar, wie sie es in Lovisas Kindheit getan hatte.
»Gestern ist etwas Merkwürdiges passiert. Eine Frau war hier. Sie hatte gerade das Gartentor erreicht, als Johannes Andersson angeritten kam und nach ihr rief. Anstatt ihm entgegenzugehen, rannte sie davon.«
Lovisa zeigte in die Richtung, in der die Frau verschwunden war.
»Weißt du, wer sie ist, Mutter?«
»Lovisa«, sagte Agnes. »Du musst vorsichtig sein.«
»Aber …«
»Hör mir gut zu.« Einen Moment überlegte sie, ob sie ihr von dem erzählen sollte, was sie selbst in dieser Nacht vor vielen Jahren mit angesehen hatte, aber da in der Geschichte noch ein verunglücktes Kind vorkam, biss sie sich auf die Zunge. »Die Frau ist Holländerin. Sie ist auf dem Schiff ihres Mannes hierhergekommen. Sie wurden überfallen, und die gesamte Besatzung samt ihrem Mann wurde ermordet.«
Lovisa erblasste. Es war trotzdem gut, wenn sie Bescheid wusste und begriff, was für Mächte es in ihrer Umgebung gab. Und wie wenig ein Menschenleben mitunter wert war.
»Johannes und Daniel schrecken vor nichts zurück.«
»Sie haben doch Kaperbriefe.«
»Die Kaperbriefe berechtigen sie lediglich, den Oberbefehl auf gewissen ausländischen Schiffen zu übernehmen, die Besatzung in die Festung zu überführen und Schiff und Ladung in Gewahrsam zu nehmen.«
»Das ist nicht verboten.«
»Natürlich nicht, aber man macht einen viel größeren Gewinn, wenn man Schiff und Ladung selbst behält. Von den Kanonen ganz zu schweigen. Du musst wissen, dass sie tausend Reichstaler für jede intakte Kanone erhalten. Vorausgesetzt, sie übergeben sie der Krone. Andernfalls können sie sie selbst nutzen. Das Problem ist nur, dass die Besatzung es weitererzählt, sobald sie einen Fuß an Land gesetzt hat. Wenn es jedoch keine Besatzung gibt, weil sie zufällig ein verlassenes Schiff gefunden haben, das voll beladen, aber ohne Mann und Maus in den Wellen treibt …« Agnes dachte an die Schaluppe Speculation , die oft über das Meer segelte. Sie war schnell und fuhr mit einer eingespielten Mannschaft. Nach langen Tagen auf See liefen sie mit gekaperten Schiffen in den Hafen von Marstrand ein. Stumme Seeleute aus fremden Ländern wurden in der Festung Carlsten inhaftiert. Es war lukrativ, als Kaperer tätig zu sein, aber noch mehr Gewinn machte man als Seeräuber.
Lovisa schwieg.
»Andreas hat in letzter Zeit viel Geld
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