Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
ist doch ihre Wohnung, nicht wahr? Aber wo steckt sie nun eigentlich?«
Ratlos sahen die beiden sich in der Wohnung um, und ihre Blicke blieben am selben Bild haften. Einem Farbfoto in einem schlichten Rahmen aus poliertem Edelholz, das auf einem edlen Büfett stand. Hermann und Tutta Stahlberg, umkränzt von ihren drei Kindern, Hermine mochte an die fünf sein, ein reizendes Mädchen mit blonden Locken und kreideweißen Zähnchen. Ihre Brüder standen mit ernster Miene neben den Eltern, während Turid Stahlberg im rechten Arm ihres Gatten lehnte. Auch sie lächelte, zaghafter als die Tochter, ein nervöses, fast um Entschuldigung bittendes Lächeln.
Hermann thronte in der Bildmitte, nur die kleine Hermine durfte im Augenblick der Aufnahme vor ihn treten. Er war der einzige, der gerade in die Kamera schaute. Die Kleine blickte schräg zu ihm auf, bewundernd, lächelnd.
»Irgendwann waren sie mal eine Familie«, sagte Annmari.
»Hier sieht es nicht gerade aus wie in einer Zeitschrift für Wohnkultur«, sagte Silje, als sie einen Blick ins Badezimmer warf, wo Billy T. Regale und ein kleines, über dem Waschbecken angebrachtes Schränkchen durchsuchte.
»Hä«, murmelte er und betrachtete aus zusammengekniffenen Augen ein Pillenglas.
»Hermines Wohnung war klasse, verstehst du. Verdreckt, aber elegant. Und hier sieht es ja wohl eher aus wie im Obdachlosenasyl.«
»Diese Pillen gehören jedenfalls nicht in eine elegante Wohnung«, sagte Billy T. und sammelte mehrere Arten von Tabletten in der Hand. »Auf dem Etikett steht Vitamin C, aber das hier ist verdammt noch mal reichlich ungesund …«
Die Wohnung, die Mabelle Stahlberg als May Anita Olsen in Kampen besaß, war nüchtern möbliert. Zwei Ikeastühle vor einem Wohnzimmertisch aus Furnier. An beiden Enden splitterte der Tisch bereits. Das Sofa war durchgesessen, und auf dem einen Sitzkissen zeichnete sich deutlich ein dunkler Fleck ab. Die Wände waren kahl, bis auf ein schrilles Gemälde über dem Sofa und einen alten Setzkasten neben der Küchentür. Der Setzkasten war leer. Mabelle hatte ziemlich widerwillig zugegeben, hier gehaust zu haben, ehe sie Carl-Christian kennengelernt hatte. Sie hatten nie einen Grund zum Verkaufen gesehen. Sie behauptete hartnäckig, daß sie die Wohnung kaum benutzten. Hermine habe dort zwar zweimal Unterschlupf gesucht, gab sie dann zu, aber ansonsten stehe die Wohnung leer. Daß sie auf Mabelles früheren Namen eingetragen war, liege ganz einfach daran, daß sie nie die Zeit gefunden hatten, diesen Eintrag umschreiben zu lassen. Sie begreife wirklich nicht, daß das alles die Polizei auch nur im geringsten interessieren könnte.
»Sieht fast aus, als hätte sie die Wahrheit gesagt«, sagte Billy T. »Hier gibt es nichts zu finden. Wenn wir kein Geschrei wegen der Pillen machen wollen. Aber das wollen wir nicht, oder? Vier Rohypnol, ein bißchen Valium und irgendwas, das ich nicht klar identifizieren kann. Hat sicher Hermine hinterlassen.«
Er betrat das schmale Schlafzimmer. Dort nahm ein Doppelbett aus Kiefernholz fast allen Platz ein. Ein schmaler Eckschrank war leer. Die Vorhänge waren vorgezogen. Billy T. öffnete sie vorsichtig. Das Fenster war offenbar seit vielen Jahren nicht mehr geöffnet worden, und der Fensterrahmen war außen klebrig vom Asphaltstaub.
»Ich begreife aber nicht, was Hermine hier wollte«, sagte Silje. »Warum hätte sie hier versauern sollen, wo sie doch eine tolle Wohnung auf der anderen Seite der Stadt hat?«
»Dafür kann es viele Gründe geben«, murmelte Billy T. und fing an, die Wände abzuklopfen. »Daß sie Bekannte hat, die sie nicht gern in bessere Wohnviertel mitschleift, zum Beispiel. Aber hallo, hör doch mal!«
Seine Faust entlockte der Wand plötzlich ein helleres, festeres Geräusch. Er versuchte es mit weiteren vorsichtigen Schlägen, vom Boden an aufwärts.
»Hier ist irgendwas.«
Er nahm ein Kalenderblatt von der Wand, eine badende Frau vor dunkelblauem Abendhimmel.
»Bingo!«
Billy T. grinste breit.
»Kennst du irgendwen, der so was aufkriegt, Silje?«
Der Safe war schlampig montiert worden. Zwischen Metall und Gipswand klafften auf beiden Seiten Zwischenräume, und die Winkel waren eindeutig schief.
»Den können wir wahrscheinlich einfach rausreißen«, sagte Billy T. und fingerte an dem Schloß herum. »Aber es wäre ein verdammter Nervkram, ihn mitschleifen zu müssen. Ist sicher tierisch schwer.«
»Das ist ein Ziffernschloß«, sagte Silje resigniert. »Wir
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