Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
kommen lassen, darauf zu bauen, dass ein Mann sich als ihr Retter aufspielte. Wenn doch, kam es auf dasselbe heraus. Sie wäre eingesperrt, setzte ihre Zukunft aufs Spiel und müsste die ganze Zeit über bangen, dass ihr persönlicher Wärter großzügig mit dem Schlüssel zur ihrem Kerker verfuhr.
»Niemals«, versicherte sie ihm.
»Collins ist ein Bastard«, sagte er leise. »So sind nicht alle.«
Sie lächelte. »Nein, sind sie nicht.« Doch es gab genug Miniaturausgaben von Collins, die frei herumliefen. »Und Sie? Ich schätze, von Ihnen wird ebenfalls erwartet, dass Sie sich eine Frau nehmen, um den Titel vererben zu können.« Er bedachte sie mit einem schroffen Lächeln, woraufhin sie mit einem Augenrollen nachschob: »Welch törichte Frage, wie könnte es anders sein?«
»Nein«, entgegnete er. »Ich dachte lediglich, dass ich unverheiratet bleiben sollte, wenn ich Ihrer Philosophie folge.« Er drehte die Hand, die bis dahin flach auf seinem Knie gelegen hatte, nach oben und machte sich an seinem Manschettenknopf zu schaffen. Erst jetzt bemerkte Mina, dass die Haut vom Daumenballen ausgehend gerötet war, dass die Rötung bis zum Handgelenk reichte, wo sie im Ärmel verschwand. »Eine unliebsame Begegnung mit einem heißen Herd«, sagte er. »Mein Vater entwickelte einen eigenartigen Humor, wenn er zu tief ins Glas gesehen hatte. Und mir blieb nichts anderes übrig, als klein beizugeben.«
Mina hielt den Atem an. In seinem Lächeln las sie, dass er nicht auf ihr Mitleid aus war. Nein, in seinem Blick lagen Reue und etwas Entschuldigendes. »Das ist etwas anderes«, brachte sie hervor.
»Wirklich?« Er zuckte die Schultern. »Er war Collins nicht unähnlich, wenn auch nicht ganz so boshaft. Aber er hat meine Mutter nicht weniger enttäuscht als Collins Ihre. Der Alkohol hat die Dämonen in seinem Inneren freigesetzt, ein Phänomen, das ich das eine oder andere Mal schon bei mir selbst erlebt habe.«
»Nein«, sagte Mina entschieden. »Sie würden niemals etwas Derartiges tun. Und selbstredend ist das etwas anderes, schließlich waren sie ein Kind.«
»Genau wie Sie, als Ihre Mutter Collins das Jawort gegeben hat«, antwortete er. »Sie hat einfach schlechten Geschmack bewiesen, anders als Sie.« Er beugte den Kopf und schloss den Manschettenknopf wieder. Als sie beobachtete, wie flink und gekonnt seine sonnengebräunten Finger ans Werk gingen, überkam sie der Wunsch, seine Hand zu berühren.
Als er aufblickte, legte sich abermals ein Lächeln auf seine Lippen. Er schien überrascht zu sein, dass sie ihm zusah. »Es ist in Ordnung«, sagte er. »Ich habe nie klein beigegeben.«
Genau wie ich, dachte Mina, brachte es aber nicht fertig, es laut zu sagen. Stattdessen steckte sie die Hände unter den Rock und spürte, wie ihr mit einem Mal und ohne sichtlichen Grund das Herz bis zum Hals schlug. Doch es gab einen Grund, einen triftigen, einen durch und durch irrationalen Grund, denn wenn sie Ashmore jetzt berührte, würden sich ihre Körper und ihre Haut an die des anderen erinnern. Sogleich schossen ihr die wildesten Gedanken durch den Sinn: Diese Wunden, seine und ihre, würden miteinander kommunizieren, würden Intimitäten austauschen, und das würde auf ewig in ihnen beiden nachhallen.
Minas Finger krallten sich tief in die raue Oberfläche des Strohs. Sie brannte darauf, Ashmore zu berühren, wenn auch nur aus diesem einzigen Grund: Wie beiläufig er von seinem Leiden gesprochen hatte, um es dann nicht minder beiläufig abzutun und von seinem Bier zu trinken, als wäre nie etwas geschehen. Er ließ nicht zu, dass die Narbe ihn störte. Warum auch? Sie war verheilt, war zu einem Zeichen seines Triumphs geworden. Sie hatte dasselbe versucht, wenngleich Henry es nie verstanden hatte. Deine wundervolle Haut , hatte er geflüstert, doch seine Fingerspitzen waren vor den vielen kleinen Narben zurückgeschreckt, als könnte er es nicht ertragen, sie zu spüren. Mina hatte sich eingeredet, seine Empfindlichkeit diente dazu, sie zu bestärken – ein Mann, der sich vor Narben scheute, würde ihr keine weiteren zufügen.
Urplötzlich fragte sie sich, ob sie sich geirrt hatte. Ein Mann, der frei von Narben war, würde stets die Verletzungen anderer unterschätzen, sie nie als Zeichen des Triumphs anerkennen. Woher sollte sie wissen, ob er das Zufügen von Narben nicht als eine geeignete Form der Bestrafung ansah?
»Sie sind so still«, riss Ashmore sie aus den Gedanken und lächelte sie an.
Mina
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