Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
ich sechs.«
»Ja, Miss.«
»Wir sind viel umhergereist und haben uns alle möglichen Dinge angesehen, die er mit Gewinn in den Vereinigten Staaten verkaufen konnte.« Vorsichtig öffnete Mina den Deckel. In den gefütterten Unterteilungen lagen die Phiolen, die sie aus New York mitgebracht hatte, um Investoren für sich zu gewinnen. »Indien, Ceylon, sogar Afrika. Wir waren überall.« Der Gedanke, dass sie den Wagemut ihres Vaters geerbt hatte, erfüllte sie mit Stolz. Und noch besser war, dass sie dort erfolgreich war, wo er Enttäuschungen erlebt hatte. Sie war schon lange kein zerbrechliches Porzellanpüppchen mehr. Und sollte sie jemand aus dem Porzellanschrank werfen, so hatte sie noch immer ihr prall gefülltes Bankkonto, auf das sie zurückgreifen konnte. In New York , dachte sie düster. Hier in London kam sie sich eher wie ein Stück Treibgut vor, so, wie diese Männer mit ihr umsprangen. Mina atmete tief durch, um sich zu sammeln. »Vermutlich habe ich im Laufe dieser vielen Reisen einige seltsame Eigenheiten angenommen«, beendete sie ihre Ausführung. Ein flüchtiger Blick zeigte, dass Sally sie fasziniert beobachtete. Mina stand auf und trug die Schatulle zum Tisch. Der Anblick der Öle hatte ihre Laune gehoben. Selbst der Geruch nach Essen machte ihr jetzt nicht mehr zu schaffen.
Sally trat einen Schritt zurück, während Mina die Phiolen auf dem Tisch anordnete. »Dies hier ist Jasmin«, erklärte sie und hielt das Fläschchen aus violettem Glas in die Höhe. »Gefällt dir der Duft?«
»Ja, Miss.«
»Besonders überzeugt klingt das aber nicht. Hier, riech mal daran.« Sie entfernte den Stopfen und hielt ihn dem Hausmädchen hin.
Misstrauisch eilte Sallys Blick zwischen Mina und der Phiole hin und her, ehe sich entspannte und vorbeugte. Womöglich tat sie es nur, weil sie es für ihre Pflicht hielt, auf die Launen dieser Amerikanerin einzugehen. »Das riecht sehr schön, Miss«, sagte sie gehorsam.
Mina griff nach einem weiteren Fläschchen. »Und das hier.« Abermals entfernte sie den Pfropfen und hielt ihn der Bediensteten hin. »Was hältst du hiervon?«
Sally schob sich mit ihrer schwieligen, geröteten Hand die Haube zurecht. »Das riecht ganz wunderbar«, sagte sie mit echter Begeisterung. »Was mag das sein? Etwas mit Rosen?«
»Nein, das sind Gardenien.« Mina hielt die Phiole in die Höhe und bewunderte im Schein des elektrischen Lichts die Reinheit des Öls. Sie spürte, wie etwas an ihrer Wade vorbeistrich. Washington war also endlich aus seinem Versteck unter dem Bett hervorgekommen. Als Mina sich herunterbeugte, um ihn zu streicheln, machte er einen Satz nach vorne und drückte sich an Sallys Füße. Diese vermaledeite Kreatur! Er strafte sie absichtlich mit Missachtung. »Ich hasse dich«, zischte sie.
Sally zuckte zusammen. »Wie meinen, Miss?«
»Die Katze.« Mina spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. »Ich mag meine eigene Katze nicht.«
»Oh!« Sally senkte den Blick, als würde sie erst jetzt bemerken, dass sie einen Verehrer hatte. Sie beugte sich nach unten, um Washington zu streicheln, woraufhin er sich genüsslich dehnte und anfing, sich zu putzen. Verräter , dachte Mina.
Sie räusperte sich. »Ich habe mich bereit erklärt, Whyllson’s im Austausch gegen seinen englischen Lavendel einige Phiolen Öl zu überlassen. Lavendel ist der letzte Schrei in Amerika, aber wir suchen noch händeringend einen zuverlässigen Produzenten. Ich habe versucht, Lavendel aus Kalifornien zu bekommen, aber er war unbrauchbar. Das ist übrigens der Grund, warum unser Masters Haartonikum etwas Besonderes ist – die Qualität der Ingredienzien.« Als Mina aufging, dass sie dabei war zu dozieren, unterbrach sie sich. Die gute Sally hatte die ganze Zeit so getan, als interessierten sie die Ausführungen und hatte fleißig genickt.
»Welch schlimme Probleme Sie haben, Miss. Den weiten Weg nach England zu reisen nur wegen Lavendel. Für ein paar Pence bekomme ich ihn beim Apotheker an der Ecke!« Die Magd ließ den Blick über die Phiolen auf dem Tisch gleiten, ehe sie besorgt zur Tür sah. »Soll ich Sie nicht lieber allein lassen, Miss?«
»Nein«, sagte Mina hastig, die auf gar keinen Fall allein in ihrem Gefängnis sein wollte. Die langen Stunden, die vor ihr lagen, würden noch genug an ihren Nerven zerren. Fieberhaft suchte sie nach einem Grund, damit das Mädchen noch ein wenig bei ihr blieb. »Möchtest du die hier gern behalten?«, fragte sie und drückte Sally die
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