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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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bislang nicht leibhaftig erschienen ist, um eine Partie Schach mit mir zu spielen.« Er nimmt die Brille ab und poliert die Gläser an seinem Hemd. »Wären Sie nicht ein wenig skeptisch, wenn ein kleines Mädchen ohne jegliche juristische Vorbildung plötzlich erklären würde, es könnte und würde als Richterin fungieren?«
    »Ist das denn miteinander vergleichbar?«
    »Sagen Sie es mir. Sie spricht also mit Gott. Und? Soweit ich weiß, hat Gott ihr nicht gesagt, dass die Israelis die PLO besiegen werden. Und Gott hat ihr auch nicht vorgeschrieben, koscher zu essen. Offenbar hat Gott sie nicht einmal dazu inspiriert, freitagabends zum Gottesdienst zu gehen. Und es fällt mir offen gesagt schwer zu glauben, dass Gott, wenn er sich in seiner menschlichen Gestalt einer Jüdin manifestieren würde, ausgerechnet eine Vertreterin dieses Glaubens aussuchen würde, die bisher nicht nach den jüdischen Regeln gelebt hat.«
    »Soweit ich informiert bin, haben nicht nur fromme Menschen göttliche Erscheinungen.«
    »Ah, Sie haben mit Priestern gesprochen! Lesen Sie in der Bibel nach. Jene Menschen, die das Glück hatten, mit Gott sprechen zu dürfen, sind entweder extrem religiös, oder aber sie befinden sich in einer Position, die es ihnen ermöglicht, viel Gutes für die Religion zu tun. Ein Beispiel: Moses wurde nicht im jüdischen Glauben erzogen, aber nach seinem Zwiegespräch mit Gott machte er sich seine Religion zu eigen. Im vorliegenden Fall habe ich nichts dergleichen feststellen können.« Er lächelt. »So tröstlich dieser Gedanke für uns sein mag, dass Gott sich mit dem einfachen Menschen anfreunden kann, der weder Kirche noch Tempel besucht und nur darum betet, dass beim Super Bowl die Mannschaft gewinnt, auf die er gewettet hat, ist es doch sehr unrealistisch. Gott ist großherzig, aber er hat auch ein gutes Gedächtnis, und es gibt gute Gründe dafür, dass die Juden in den vergangenen fünftausend Jahren nach ganz bestimmten Regeln gelebt haben.«
    Kenzie blickt von ihrem Notizbuch auf. »Aber ich habe selbst mit Faith gesprochen, und ich hatte nicht den Eindruck, dass sie bewusst versucht, die Leute zu verschaukeln.«
    »Ich ebenso wenig. Machen Sie kein so überraschtes Gesicht. Ich habe auch mit ihr gesprochen, wissen Sie; sie ist ein liebenswertes Kind. Und das verleitet mich zu der Annahme, das jemand sie zu diesem Theater anstiftet.«
    Kenzie denkt zurück an jenen Augenblick in Faith’ Zimmer, als Mariah ihre Tochter mit einem eindringlichen Blick zum Schweigen gebracht hat. »Ihre Mutter.«
    »Zu diesem Schluss bin ich gekommen, ja.« Er lehnt sich auf der Bank zurück. »Ich weiß, dass Mrs. White keine praktizierende Jüdin ist, aber manche Dinge hat man einfach verinnerlicht. Wenn verdrängte Kindheitstraumata sich noch auf den erwachsenen Menschen auswirken können, warum nicht auch religiöse Praktiken? Vielleicht hat sich das in sehr jungen Jahren in Mrs. White festgesetzt - möglicherweise sogar, als sie der Sprache noch nicht mächtig war -, und das hat sie irgendwie auf ihre Tochter übertragen.«
    Kenzie kratzt sich mit dem stumpfen Ende des Bleistifts am Kinn. »Wozu das alles?«
    Rabbi Weissman zuckt die Achseln. »Fragen Sie das diesen Ian Fletcher. Die Frage ist nicht, warum, Ms. Van der Hoven, sondern warum nicht?«
     
    19. November 1999
     
    »Eine gute Frage«, sagt Vater MacReady. Er geht an Kenzies Seite über den Kirchhof und wirbelt mit den Spitzen seiner Cowboystiefel das trockene Laub auf. »Aber ich wüsste da auch eine. Warum sollte ein Kind - oder seine Mutter, wie Sie meinen - Stigmata vortäuschen wollen?«
    »Um Aufmerksamkeit zu erregen?«
    »Mag sein. Aber Gott zu sehen erregt heutzutage nicht halb so viel Aufsehen, wie beispielsweise zu behaupten, mit Elvis in Kontakt zu stehen. Und um beim Katholizismus zu bleiben, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Marienerscheinungen immer für viel größeren Wirbel gesorgt haben als Begegnungen mit Jesus.« Er wendet sich Kenzie zu, und der Wind fährt ihm durch das Haar. »Fälle von Stigmata werden von der katholischen Kirche sehr sorgfältig geprüft. Soweit ich weiß, muss man, wenn man sich mit Elvis unterhält, nur Leuten wie Petra Saganoff Rede und Antwort stehen.«
    »Und Ihnen kommt es nicht merkwürdig vor, dass ein kleines jüdisches Mädchen Jesus sieht?«
    »Religion ist kein Wettstreit, Ms. Van der Hoven.« Er mustert Kenzie eindringlich. »Was stört Sie eigentlich wirklich an diesem Fall?«
    Kenzie

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