Die Wahrheit der letzten Stunde
nicht.«
»Können wir sie nicht zwingen, Mariahs Rasen zu verlassen?«
»Das wollte ich gerade veranlassen«, meint er. »Natürlich kann ich ihnen nur befehlen, sich bis zur Straße zurückzuziehen. Immerhin ist die öffentlich.«
Millie lässt den Blick über die Menge schweifen. »Können wir mit Faith sprechen?«, ruft einer der Reporter. »Holen Sie sie her!«
»Genau!«
»Und die Mutter soll auch rauskommen!«
Die Stimmen steigern sich zum Crescendo, und die entsetzte Millie kann nur sprachlos zuhören. Dann verschränkt sie die Arme vor der Brust und mustert die Menschen vor dem Haus mit strengem Blick. »Sie befinden sich auf Privatbesitz; Sie haben hier nichts zu suchen. Und Sie sprechen von einem Kind. Einem Kind. Würden Sie wahrhaftig den Worten einer Siebenjährigen Glauben schenken?«
Ganz vorn in der ersten Reihe klatscht jemand sehr langsam und nachdrücklich. »Gratuliere, Ma’am«, sagt Ian Fletcher in seinem unvergleichlichen Südstaatenakzent. »Ein rationales Statement inmitten eines Mahlstroms. Man stelle sich das vor.«
Er tritt in Millies Blickwinkel, und sie sieht, dass es sich um Ian Fletcher aus der Fernsehsendung handelt. Und so gut er auch aussehen und so verführerisch seine Stimme klingen mag, weiß sie, dass es ein furchtbarer Fehler von ihr war, ihn jemals attraktiv zu finden. Millie hat der Menge einen Krumen Zweifel vorgeworfen, damit sie etwas haben, um sie von ihrer Enkeltochter abzulenken. Aber dieser Mann … dieser Mann sät Zweifel, damit ihm alle aus der Hand fressen.
»Ich schlage vor, dass Sie alle jetzt von hier verschwinden«, sagt Millie angespannt. »Meine Enkelin ist für Sie nicht von Interesse.«
Ian Fletcher lächelt sie strahlend an. »Tatsächlich? Sie schenken also Ihrer eigenen Enkelin keinen Glauben? Ich schätze, Ihnen ist klar, dass ein Kind, das behauptet, mit Gott zu sprechen, genau das ist… ein Kind, das behauptet mit Gott zu sprechen. Keine Glocken, keine Pfiffe, nicht einmal ein Wunder. Nur eine Gruppe irregeleiteter Kultmitglieder, die bereits das Stadium der Respektabilität überschritten haben, aber sicher nichts, was eine Hysterie rechtfertigen würde, oder?«
Seine Worte klingen honigsüß; sie fließen über Millie und nageln sie auf der Veranda fest. »Ma’am, Sie sind eine Frau ganz nach meinem Geschmack.«
Millie kneift die Augen zusammen, öffnet den Mund, greift sich dann an die Brust und sinkt vor Ian zu Boden.
Mariah reißt die Haustür auf und kniet sich neben ihre Mutter. »Ma!«, ruft sie und schüttelt Millie bei den erschlafften Schultern. »Rufen Sie einen Rettungswagen!«
Einige vereinzelte Blitzlichter flammen auf. Sie ignorierend, beugt Mariah sich über Millie und hält das Ohr dicht über ihren Mund. Aber sie kann keinen Atem spüren, kein Härchen bewegt sich. Es ist ihr Herz, ihr Herz, sie weiß es. Sie drückt die Hand ihrer Mutter, sicher, dass sie sie verlieren wird, wenn sie auch nur ein winziges bisschen locker lässt.
Gleich darauf rast ein Krankenwagen die Zufahrt herauf, und Kies spritzt auf, als er schlitternd vor dem Haus zum Stehen kommt - oder genauer, so nah wie möglich in Anbetracht der Lieferwagen, Ü-Wagen und des Winnebagos, die den Weg versperren. Die Sanitäter laufen die Verandatreppe herauf. Einer zieht Mariah sanft von ihrer Mutter weg, während der andere mit Wiederbelebungsmaßnahmen beginnt.
»O Gott«, flüstert Mariah kaum hörbar. »0 Gott. Gott. O mein Gott.«
O Beschützerin. Beschützerin. O meine Beschützerin. In dem Versteck, in das sie sich verkrochen hat, seit sie aus dem Haus geschlichen ist, hebt Faith den Kopf. Die Intensität ihres Flehens deckt sich so sehr mit dem ihrer Mutter, dass ihr erst jetzt bewusst wird, wer ihre Beschützerin ist.
Ian beobachtet, wie Mariah White unter Tränen mit den Sanitätern streitet, die sich weigern, Faith im Krankenwagen mitfahren zu lassen. Der Polizeichef mischt sich ein und verspricht, ihre Tochter ins Krankenhaus zu fahren, sobald die Verstärkung eingetroffen ist, die das Grundstück räumen soll. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, blickt er dem Krankenwagen hinterher, der die Zufahrt hinunterrast. »Gute Arbeit.«
Ian zuckt beim Klang der Stimme zusammen. Sein Producer hält ihm einen Wagenschlüssel hin. »Hier. Heute Abend bist du garantiert in den Nachrichten.«
Dafür, dass er bei einer alten Frau einen Herzstillstand provoziert hat. »Wer sagt’s denn«, bemerkt Ian sarkastisch. »Mehr kann man nicht
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