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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ist? Willst du da Wurzeln schlagen?«
    Sie marschiert den Flur hinunter, vorbei an Ian Fletcher, der uns so ungläubig anstarrt, dass mir zum ersten Mal seit Stunden zum Lachen zumute ist.
     
    Während der Gefäßspezialist meine Mutter gründlich untersucht, sitzen Faith und ich im Wartezimmer oben auf der Station. Sie sieht blass und müde aus; unter den Augen hat sie lila Ringe, so groß wie Daumenabdrücke.
    Mir wird erst bewusst, dass ich laut gesprochen habe, als Faith das schmale Gesichtchen hebt. »Ich habe getan, was du dir gewünscht hast«, sagt sie leise.
    Ich schlucke hart. »Du hattest nichts damit zu tun, dass Oma sich erholt hat. Hast du mich verstanden?«
    »Du hast sie darum gebeten«, murmelt Faith. »Ich habe dich gehört.«
    »Wen habe ich gebeten?«
    »Gott. Du hast gesagt: >0 Gott. Gott. O mein Gott.<« Faith reibt sich die Nase an der Schulter. »Und sie hat dich gehört. Sie hat mir gesagt, was ich tun soll, damit du dich besser fühlst.«
    Ich neige den Kopf und starre auf die Turnschuhe meiner Tochter. Bei einem der Schuhe hat sich die Schleife gelöst, und der Schnürsenkel hängt auf den Linoleumboden hinunter wie bei einem ganz normalen Kind. Aber mein Kind hat mit Gott gesprochen. Mein Kind hat offenbar gerade ein Wunder vollbracht.
    Ich kämpfe gegen die aufsteigenden Tränen an. Das Ganze ist ein nicht enden wollender Albtraum, und ganz sicher wird Colin mich gleich wachrütteln und mir sagen, ich solle mich auf die andere Seite drehen und weiterschlafen. Kinder gehen zur Schule, schaukeln, schlagen sich die Knie auf. Das hier ist Stoff für einen Film oder einen Roman, aber nicht für ein gewöhnliches, alltägliches Leben.
    Meine Daumen reiben unbewusst an einer Schwiele an Faith’ Hand. »Was ist das?«
    Faith verbirgt die Hände zwischen den Knien. »Das ist vom Klettergerüst.«
    »Nicht von …« Wie soll ich es ausdrücken? »Nicht davon, wie du Oma berührt hast? Es hat… dich nicht verletzt?«
    Faith schüttelt den Kopf. »Ich habe mich gefühlt wie oben auf einem Hügel einer Achterbahn, kurz bevor sie abwärts schießt.« Verwirrt sieht sie mich an. »Mami, wolltest du denn nicht, dass Oma wieder gesund ist?«
    Ich schließe sie in die Arme und wünsche, ich könnte sie wieder in mich hinein nehmen und vor dem beschützen, was unweigerlich noch kommen muss. »O Faith. Natürlich habe ich mir das gewünscht. Wünsche es mir noch. Es macht mir nur ein wenig Angst, dass möglicherweise du sie gesund gemacht hast.« Ich streiche ihr über das Haar und über die Schultern.
    »Mir macht es auch ein wenig Angst«, gesteht sie leise.
     
    Frau gestorben und ins Leben zurückgekehrt
     
    1. Oktober 1999; New Canaan, New Hampshire - Gestern gegen 15:34 Uhr verstarb Mildred Epstein. Um 16:45 Uhr setzte sie sich plötzlich auf und fragte, weshalb sie sich im Krankenhaus befinde. Epstein, 56 Jahre alt, besuchte ihre Tochter in New Canaan, als sie sich Zeugen zufolge plötzlich an die Brust fasste und zusammenbrach. Sanitäter bemühten sich 20 Minuten lang, sie vor Ort wiederzubeleben, was jedoch nicht gelang. Sie wurde bei ihrer Einlieferung ins Connecticut Valley Medical Center von Dr. Peter Weaver für tot erklärt. »So etwas habe ich noch nicht erlebt«, äußerte Weaver am gestrigen Abend Reportern gegenüber. »Trotz der übereinstimmenden Aussagen zahlreicher Zeugen und Experten der Notfallmedizin haben Tests ergeben, dass Mrs. Epsteins Herz keinerlei Spuren eines Infarktes aufweist und schon gar nicht eines Herzstillstands von über einer Stunde. Augenzeugenberichten zufolge erlitt Epstein einen Herzstillstand, nachdem sie sich ein Wortgefecht mit Ian Fletcher geliefert hatte, dem Fernseh-Atheisten, der dadurch berühmt geworden ist, dass er die Existenz Gottes negiert. Fletcher bereitete gerade eine Sendung über Epsteins Enkelin vor wegen kontroverser Behauptungen, denen zufolge das Kind mit Gott in Verbindung stehe. Weder Mrs. Epstein noch Mr. Fletcher wollten sich zur Sache äußern.
     
    »Weißt du, das zählt nicht«, sagt Ian und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Als ich sagte, frischen Fisch, meinte ich keine Thunfischkasserolle.«
    »Das oder Donut King«, entgegnet James grinsend. »Krapfen oder Meereshühnchen.«
    Ian schüttelt sich. »Weißt du eigentlich, wie viel ich bereit wäre, für ein ordentliches Angussteak zu bezahlen?«
    »Wahrscheinlich könntest du von der Molkerei gegenüber eine ganze Kuh stibitzen. Es gibt hier so verdammt viele von den

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