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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Biestern, dass bestimmt keiner nachzählt.« James tupft sich mit einer Serviette den Mund ab. »Wenigstens bist du in einem Restaurant.«
    »Das ist das Gleiche, wie eine Reise im Wohnmobil übers Land mit einer Safari zu vergleichen.«
    »Nein - mit einer Aufklärungskampagne zur Wahrheitsfindung. Oder zumindest hast du dich vor ein paar Wochen so ausgedrückt.« Der Producer beugt sich vor. »Komm schon, Ian, es fängt gerade an, gut zu laufen. In den Abendnachrichten der NBC wurde der Abschnitt mit der Großmutter gezeigt, die tot umfällt. Der Ausschnitt wurde seitdem stündlich in den Spätnachrichten gezeigt.« James hebt seine Kaffeetasse. »Ich habe ein gutes Gefühl bei dieser Geschichte. Das Kind ist der Knackpunkt, die Leute glauben einfach nicht, dass es sich das alles nur ausdenkt. Und das macht es umso spektakulärer, wenn wir schließlich das Geheimnis lüften.«
    Ian lächelt schwach. »Das ist zumindest eine Anpassung der Unterbringung wert.«
    »Betrachte es mal von dieser Seite: Wenn diese Geschichte dir zurück in den Sattel verhilft, brauchst du dein Lebtag keinen Fuß mehr in ein Wohnmobil zu setzen.« James greift nach der Rechnung, lacht und zückt seine Kreditkarte. »Als Kind war ich gerne campen. Hast du nie gezeltet?«
    Ian antwortet nicht. James’ Kindheit deckt sich vermutlich nicht mit seinen eigenen Erinnerungen. »Ach ja, richtig. Du warst ja nie ein Kind.«
    »Nein.« Ian lächelt. »Ich bin als fertiges Produkt dem Kopf meines Producers entsprungen.«
    »Wirklich, Ian. Ich meine, wir kennen uns jetzt seit - wie lange? — sieben Jahren? Und alles, was ich über dein Leben vor dem Radio weiß, ist, dass du an einer unbekannten Schule in Boston einen Dr. phil gemacht hast.«
    »Diese unbekannte Schule in Boston war so schlau, Leuten wie dir Schulen wie Yale zu überlassen«, entgegnet Ian. Als er ein leises Unbehagen verspürt, gibt er vor zu gähnen. »Ich bin erledigt, James. Ich mache mich besser auf den Heimweg.«
    James wölbt skeptisch eine Braue. »Du? Müde? Niemals.«
    Einen Moment spannt sich Ians Körper an. Woher weiß James von seiner Schlaflosigkeit? Woher weiß er, dass es schon Jahre her ist, dass er, Ian, das letzte Mal mehr als ein paar Stunden am Stück geschlafen hat? Hat James beobachtet, wie er nachts den Winnebago verlassen hat, um in den Wäldern, Tälern oder der Prärie herumzuwandern, je nachdem, in welcher Hölle er gerade festsitzt?
    »Du fühlst dich nur in die Ecke gedrängt«, schlussfolgert James, »und darum versuchst du, das Thema zu wechseln.« Ian entspannt sich wieder, fühlt sich wieder sicher in seiner Privatsphäre. »Ich meine es ernst, Ian. Ich frage dich als Freund. Was waren deine Eltern für Menschen? Wie bist du zum Mann geworden?«
    Über Nacht, denkt Ian, spricht den Gedanken aber nicht aus. Er schiebt seinen Stuhl zurück. »Ich habe gerade Heißhunger auf einen Krapfen«, entgegnet er und rückt mit einem Lächeln die Fassade wieder zurecht. »Was ist mit dir?«
     
    3. Oktober 1999
     
    Glücklicherweise hat die Polizei Ian Fletcher und die Mitglieder dieser sonderbaren Sekte zusammen mit den an die fünfzig Schaulustigen gezwungen, sich vom Haus fern zu halten. Leider ist das noch nicht fern genug. Die Straße - öffentliches Gelände - liegt nur einen halben Acre vom Haus weg, sodass wir sie durch die Fenster sehen können. Und das heißt, dass auch sie uns sehen können.
    Ich habe Faith nicht erlaubt, draußen zu spielen, obwohl sie unruhig ist und mir die Ohren volljammert. Sie bedrängen mich schon, sobald ich das Haus verlasse; was würden sie erst tun, wenn sie hinaus käme? Ich warte sogar bis nach Mitternacht, um mich mit dem Abfall aus dem Haus zu schleichen und ihn an der Straße zu deponieren, ohne von Reportern belagert zu werden. Ich stehle mich an der Schaukel vorbei und an den schützenden Eichen.
    »Einen Penny für Ihre Gedanken.«
    Ich zucke zusammen. Ein Streichholz wird angerissen, und im hellen Schein der flackernden Flamme erkenne ich Ian Fletcher. Er zündet sich einen Zigarillo an, klemmt ihn sich zwischen die Zähne und inhaliert.
    »Ich könnte Sie verhaften lassen«, sage ich. »Sie haben unbefugt meinen Grund und Boden betreten.«
    »Ich weiß. Aber ich glaube nicht, dass Sie das tun werden.«
    »Sie irren sich.« Ich mache kehrt und gehe zurück in Richtung Haus, um die Polizei anzurufen.
    »Tun Sie das nicht«, sagt er leise. »Ich habe beobachtet, wie Sie sich darauf vorbereitet haben, das Haus zu

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