Die Wahrheit des Alligators
Kollegen kommen.«
»Darauf können Sie sich verlassen«, sagte ich beim Hinausgehen. Benjamino kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen. »Was für ein Tölpel, dieser Typ. Mein Leben lang habe ich mein Geld noch nicht so leicht verdient.«
»Wann hast du kapiert, daß er uns ein Schmiergeld anbieten würde?«
»Als er kam und uns fragte, ob wir Kaffee möchten. Die Botschaft war deutlich.«
»Jetzt verstehe ich, warum du zwei Fotokopien von allem. machen wolltest. Er hat uns für zwei korrupte Beamte gehalten … nach dem ganzen Zirkus um die Schmiergeldaffären in der italienischen Politik hätte ich mir wenigstens etwas mehr Heimlichtuerei erwartet, aber der ist ja schnurstracks zur Sache gekommen.«
»Marco, du bist wirklich ein Anfänger«, sagte er und versetzte mir einen Stups auf den Kopf. »Nur die Tarife haben sich geändert. Sonst nichts.«
Von den elf Namen waren nur fünf Pflegepersonal: drei Frauen und zwei Männer.
»Bei wem fangen wir an?« fragte der alte Rossini. »Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Mir gefällt die Vorstellung überhaupt nicht, blind vorzugehen. Da besteht die Gefahr, daß wir an die falsche Person geraten und auffliegen.«
»Du erinnerst dich doch hoffentlich daran, daß heute schon der 21. ist …«
»Ich weiß, welcher Tag ist. laß mich nachdenken. vielleicht gibt es einen Weg, das Hindernis zu umgehen.« Ich rief in der Klinik an und verlangte die Sekretärin von Professor Andreose. Eine ziemlich jugendliche Stimme antwortete mir, und ich beschloß, das Risiko einzugehen. »Guten Tag, hier spricht Pierro Martini, ein ehemaliger Patient von Professor Andreose. Erinnern Sie sich an mich?«
»Tut mir leid, im Augenblick kann ich mich nicht erinnern. Sie wünschen?«
»Ich wollte wissen, ob der Professor noch immer in der Santa Lucia arbeitet. Ich wohne schon eine Weile nicht mehr in Padua, und mein Analytiker … ein Jungianer … , ist letzte Woche gestorben. Prostatakrebs. Aber erinnern Sie sich wirklich nicht an mich?«
»Nein, ich bin erst seit vier Jahren die Sekretärin des Professors.«
»Ah, entschuldigen Sie. Klar, daß Sie sich dann nicht erinnern können. wissen Sie, ich habe nur danach gefragt, weil mir Ihre Kollegin sehr sympathisch war, wir haben immer viel Spaß miteinander gehabt … ich dachte, sie wäre es. Im Augenblick ist mir ihr Name entfallen.«
»Claretta.«
»Nein, an den erinnere ich mich. Ich meinte den Familiennamen.«
»Corò.«
»Richtig. Sehr gut.«
»Möchten Sie einen Termin bei Herrn Professor ausmachen?«
»Nein, wissen Sie, ich muß erst noch entscheiden, zu welchem Spezialisten ich gehen will. Gegebenenfalls melde ich mich … wissen Sie, ich bin noch in Trauer wegen des Todes von meinem Analytiker.«
»Bravo, Marco, wirklich«, lobte mich Benjamino. »Die Rolle des Bekloppten spielst du wirklich ganz ausgezeichnet. Irgendwie wirkt das völlig natürlich.«
»Red keinen Unsinn und gib mir die Liste. Schauen wir mal, ob diese Claretta Corò dabei ist.«
Ich fand sie auf der Liste der Angestellten. Zehn Minuten später waren wir auf dem Weg zu ihr.
Eine junge Frau mit einem Kind auf dem Arm öffnete uns und antwortete, sie sei die Tochter der Frau Corò. Sie bat uns, zu warten, während sie sie holen ging. Die Frau kam an die Tür. Sie hatte gefärbte Haare und ein jugendliches und energisches Auftreten. »Ja?«
Ich hielt ihr den falschen Ausweis unter die Augen. »Landesamt für Berufssicherheit. Wir möchten einen Augenblick mit Ihnen sprechen.«
Sie führte uns in ein eher bescheidenes Wohnzimmer, das vollgestellt war mit Fotografien eines beleibten Herrn mit weißen Haaren, und bat uns, Platz zu nehmen. »Mein Mann«, sagte sie. »Er ist letztes Jahr gestorben.«
»Hören Sie, gnädige Frau, waren Sie 1976 schon Sekretärin bei Professor Andreose?«
»Ja, aber ich verstehe nicht …«
»Auch als Marco Ventura eingeliefert wurde?«
»Wer?«
»Sie haben richtig verstanden. Marco Ventura, der Sohn von Carlo, einem der Hauptaktionäre der Klinik Santa Lucia.«
»Sie haben gesagt, Sie sind vom Landesamt für Berufssicherheit?«
»Das haben wir gesagt.«
»Aber was Sie mich da fragen, was hat das mit dem Landesamt zu tun?«
»Nichts.«
»Ja, und was wollen Sie dann?«
»Antworten.«
Sie machte Anstalten aufzustehen. »Ich hole besser meine Tochter.« Benjamino, der ihr gegenüber saß, hielt sie mit einer Geste zurück und gab ihr zu verstehen, sie solle sitzen bleiben. Dann holte er eine Rolle von
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