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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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analgetischen Gelverband bedeckt. Nachdem er Guillards Feuerkuss erstickt hatte, war er ohnmächtig geworden. Aufgewacht war er in einem Krankenwagen. Der Brand hatte Feueralarm ausgelöst, und die Wachleute der Fabrik waren nur wenige Sekunden nach dem Ereignis an Ort und Stelle gewesen. Patrick Guillard jedoch konnten sie nicht mehr helfen.
    Passan wurde umgehend ins Krankenhaus Max Fourestier nach Nanterre gebracht, wo die Ärzte ihm erklärten, dass seine Verbrennungen nur oberflächlich seien. Trotzdem müsse er achtundvierzig Stunden zur Beobachtung in der Klinik bleiben. Passan hatte nicht reagiert. Er fühlte sich wie gar gekocht.
    Jetzt lag er mit einer Infusionsnadel im Arm in einem grünlichen Papierhemd auf seinem Krankenhausbett, den Kopf eingewickelt wie eine Mumie, und sah der aufgeregt umherlaufenden Naoko zu. Die blasse Morgendämmerung drang durch die Jalousien des schäbigen Krankenzimmers. Es war fast sechs Uhr früh.
    »Du paranoider Mistkerl!«
    Fassungslos verfolgte Passan die absurde Szene. Es war wie im Kino. Als hätte man Naoko eine Rolle zugewiesen, bei der sie sich im Text irrte. Statt sich um die Wunden ihres heldenhaften Ehemannes zu kümmern, beleidigte sie ihn.
    Wie durch einen Nebel hindurch stellte Passan irgendwann fest, dass die schwarzhaarige Furie schwieg. Aber nach wie vor wanderte sie auf und ab, rang die Hände und wurde von Krämpfen geschüttelt, als behandele man sie mit einem Defibrillator.
    »Herzlichen Dank für deine Unterstützung.«
    »Meine Unterstützung?«, wiederholte sie. Im Halbdunkel sah sie sehr blass aus.
    Wieder setzte sie sich in Bewegung. Klar, er verdiente diesen Rüffel. Es war nicht etwa der Anruf mitten in der Nacht gewesen, der Naoko derart aufgebracht hatte. Auch nicht die Tatsache, dass man ihren Mann aus einer Fabrik retten musste, wo er sich neben einem verbannten Zwitterwesen krümmte. Schuld war Fifi.
    Er hatte sie in ihrem Hotel abgeholt und sich in Erklärungsversuchen verhaspelt. Dabei kamen irgendwann die Blutentnahmen zur Sprache. Als Naoko schließlich begriff, dass jemand mehrere Nächte hintereinander in die Villa eingedrungen war, um den Kindern Blut abzunehmen, explodierte sie. Ihr nachträgliches Entsetzen entlud sie nun bei Passan.
    Irgendwann hob er die Hand und bat um eine Verschnaufpause, weil er auch einmal etwas sagen wollte.
    »Ich glaube, ich habe verstanden. Geh jetzt besser ins Hotel zurück und ruhe dich aus.«
    Seine Stimme klang wie ein Reibeisen.
    »Mich ausruhen? Bist du bescheuert oder was?«
    »Versuch es zumindest. Du bist heute Abend zu Hause mit den Kindern an der Reihe.«
    Konsterniert schüttelte sie den Kopf.
    »An der Reihe! Du tickst doch wirklich nicht ganz richtig.«
    Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. Sie stürzte sich auf den Spind und wühlte in Passans verrußter Kleidung herum. Allein durch diese Bewegung verbreitete sich sofort ein ekelerregender Geruch nach angesengtem Stoff im Zimmer.
    Triumphierend wandte sie sich um und hielt seinen Schlüsselbund hoch.
    »Du setzt keinen Fuß mehr in dieses Haus.«
    Wenn Naoko begann, sich mit häuslichen Dingen zu beschäftigen, war sie wirklich am Ende mit den Nerven. Manchmal hatte Passan den Eindruck gehabt, dass eine Ladung Wäsche oder das Abtauen der Tiefkühltruhe sie davor bewahrte, Hand an sich zu legen und Seppuku zu begehen.
    »Könntest du Fifi bitten, herzukommen?«, bat er mit heiserer Stimme.
    Naoko zögerte. Die Wut wich aus ihren Zügen. Ihr bleiches, fast gelbliches Gesicht sah aus wie eine geschnitzte japanische Holzmaske.
    »Schwörst du mir, dass jetzt alles vorbei ist?«, fragte sie leise. »Haben die Kinder nichts mehr zu befürchten?«
    »Ich schwöre.«
    Er sah, wie ihre Lippen zitterten.
    »Versuch zu schlafen«, murmelte sie und hob ihre Handtasche vom Boden auf.
    Dass Passan ausgerechnet in dieses Krankenhaus gebracht worden war, entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Tatsächlich kannte er dieses Haus sehr gut. Damals hatte es noch La Maison de Nanterre geheißen und war die medizinische Anlaufstation für die Ärmsten der Armen im Pariser Westen gewesen.
    In diesem Etablissement mussten die Heim- und Pflegekinder jedes Jahr ihre Pflichtuntersuchung über sich ergehen lassen. Passan erinnerte sich noch lebhaft der gekachelten Säle, der Steinbögen und der offenen Galerie. Immer war es kalt gewesen. Die Kinder hatten bis ins Mark gefroren, wenn sie nur mit einem Slip bekleidet darauf warteten, dass sie an die Reihe kamen. Auch

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