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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Situation keineswegs verbessert. Der Vater ihrer Kinder war soeben noch einmal mit dem Leben davongekommen, und ihr war nichts Besseres eingefallen, als ihn anzuschnauzen wie einen halbwüchsigen Bengel, den man bei einer Lüge ertappt. Sie hatte wirklich überreagiert.
    Sie sah Passan vor sich. Sein schwarzes verschwollenes Gesicht unter den Bandagen. In Wirklichkeit hatte sein Zustand sie sehr traurig gemacht. Gleichzeitig war ihr ihre Hilflosigkeit schmerzlich bewusst geworden. Aber Angriff war nun mal die beste Verteidigung.
    »Er hat mir gesagt, dass vielleicht ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wird. Stimmt das?«, erkundigte sie sich plötzlich bei Fifi.
    »Das ist in solchen Fällen ganz normal. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Alles wird gut gehen.«
    Naoko schluckte ihre Tränen hinunter. Ständig versuchte man sie zu beruhigen, behandelte sie wie ein unmündiges Kind und erzählte ihr irgendwelchen Mist!
    »Seid ihr sicher, dass das der Kerl war, der es auf unser Haus abgesehen hatte?«
    »Ganz sicher.«
    Fifi log nicht besser als Passan. Beide glaubten offenbar nicht, dass die Gefahr vorüber war. Sie konnten nicht bestätigen, dass es sich bei dem in dieser Nacht verbrannten Mann um den Eindringling handelte. Aber statt ihre Befürchtungen mit ihr zu besprechen, blufften sie immer weiter.
    »Dann wird es also in Zukunft nie mehr Probleme bei uns geben?«, hakte sie nach.
    Fifi wich der Frage mit einem Lachen aus.
    »Kommt darauf an, was du unter Problemen verstehst.«
    »Gehäutete Affen in meinem Kühlschrank. Vampire, die das Blut meiner Kinder saugen.«
    »Das ist alles mit Guillard gestorben und begraben.«
    Es hatte keinen Sinn.
    »Warum hat er mir das alles verheimlicht?«
    »Er hat alles nur für dich getan. Immer.«
    Sie lachte freudlos auf.
    »Ich will dieses Leben nicht mehr.«
    Dieses Leben. Der Plan war eigentlich nicht schlecht gewesen. Passan handelte im Namen der Gerechtigkeit. Er verhaftete Bösewichte, schützte die Gesellschaft und verteidigte die Werte der Republik. Aus der Berufung jedoch war ein Beruf geworden, und der Beruf wurde schließlich zur Droge. Das Gute war nur noch ein abstrakter Wert, das Böse eine alltägliche Realität.
    »Ich nehme die Ringstraße. Ist das okay?«
    Naoko nickte schweigend.
    Sie fuhren am Viertel La Défense vorbei. Eine Wüste aus Schiefer, Quarz und anderen Mineralien. Fossilien einer längst vergangenen Ära.
    Naoko blickte auf die Uhr. Fast sieben. In ihrer Verzweiflung hatte sie wieder einmal Sandrine angerufen. Gestern Nacht waren die Kinder von Gaia und einem bewaffneten, versoffenen und bekifften Polizisten gehütet worden. Sie hatten ihren Vater gesehen, der sich darauf vorbereitete, einen Mann zu töten. Und wenn sie nun aufwachten, würden sie erstaunt feststellen, dass sie sich in der Obhut Sandrines befanden. Sah so etwa ein stabiles Familienleben aus?
    Eins aber wusste sie ganz genau: Ganz gleich, welches Risiko auf sie zukam – sie würde keinesfalls umziehen.
    Auch wenn es nicht Guillard gewesen war, der ihnen aufgelauert hatte. Auch wenn die Möglichkeit bestand, dass die Bedrohung anhielt. Nein, sie würde sich nicht aus dem Staub machen. Sie würde dem Aggressor die Stirn bieten. Zusammen mit den Kindern. Und ganz bestimmt mit ein paar Polizisten in der Hinterhand. Naoko war ganz sicher, dass Passan trotz seiner Versprechungen die Überwachung des Hauses nicht aufgeben würde.
    Und doch konnte sie sich der Versuchung nicht ganz entziehen. Sollte sie nicht doch nach Tokio zurückkehren? Mit den Kindern? Dort würde sie Tausende von Kilometern von der Gewalt entfernt sein.
    Tränen traten ihr in die Augen. Kaum dass sie noch die Landschaft erkennen konnte. Alles erschien ihr trüb und verschwommen. Nein. Das war nicht die richtige Lösung.
    Eine Flucht nach Tokio hieße, ihre eigene Büchse der Pandora wieder zu öffnen.
    Der Wagen hielt. Naoko verscheuchte ihre Überlegungen wie einen bösen Traum. Durch ihre Tränen hindurch sah sie die Toreinfahrt der Villa.
    »Wir sind da«, verkündete Fifi. »Endstation.« Er meinte es nicht ironisch.

TEIL 3:
TOD

57
    »In den Siebzigerjahren gab Stevie Wonder einmal eine Pressekonferenz, bei der ihn ein begeisterter Journalist fragte, ob es nicht schrecklich sei, blind geboren zu werden. Stevie Wonder zögerte einen Augenblick und meinte dann: ›Es hätte schließlich schlimmer kommen können. Stellen Sie sich einmal vor, ich wäre als Schwarzer geboren.‹«
    Passan

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