Die Wahrheit des Blutes
versuchte zu lächeln, gab es aber sofort wieder auf. Schon der Versuch tat entsetzlich weh. Er hatte das Gefühl, dass seine Haut unter den mit Xylocain getränkten Bandagen zu platzen drohte.
Es war drei Uhr nachmittags. Unter der Wirkung der Morphine hatte er den ganzen Vormittag geschlafen. Mittags wurden die Verbände gewechselt, worauf die Wunden wieder zu brennen anfingen wie Flammen unter einem Dampfkessel. Eine weitere Spritze, erneutes Koma. Als er aufwachte, saß Fifi an seinem Bett.
Der junge Mann hatte sich wirklich ins Zeug gelegt. Er hatte ein Überwachungsfahrzeug organisiert. Mit Super Marios Hilfe hatte er die Kamera aus Naokos Zimmer entfernt und die Monitore in den Lieferwagen gebracht, der nicht weit von der Villa entfernt in der Rue Cluseret parkte. Zwei Polizisten kümmerten sich um die Überwachung, zwei andere liefen Streife im Viertel. Lefebvre hatte Fifi unterstützt. Die Vorzeichen hatten sich verändert: Passans Wünsche waren der Kripo jetzt Befehl.
Fifi saß mit einer brennenden Zigarette an Passans Bett und erzählte Anekdoten. Wenn es um Musik ging, konnte er stundenlang Geschichten, Berichte und Zitate zum Besten geben.
»Weißt du, wie Keith Richards über die Musiker von heute denkt?«
»Keine Ahnung.«
»Er sagte einmal: ›Wo sind die Typen, die uns lächerlich machen sollten? Ich sehe nur Kahlköpfe an Turntables.‹«
Passan zog eine Grimasse.
»Glaubst du ernsthaft, damit könntest du meine Laune verbessern?«
»Ich will dich nur auf andere Gedanken bringen.«
Passan nickte. Er hatte das Gefühl, unter seinem Verband zu ersticken. Das Gel klebte an seiner Haut, die Schmerzmittel betäubten seine Nerven. In seinem Zimmer wechselten sich düstere Schatten mit blendend hellen Lichtfetzen ab, die in sein Blickfeld schnitten wie Glasscherben.
Als er versuchsweise die Augen schloss, wurde es noch schlimmer. Entweder sah er Guillards brennendes Gesicht vor sich oder schwefeläugige Dämonen, die langsam in sein Gehirn eindrangen. Hastig verscheuchte er die Visionen, öffnete die Augen und zwang sich, über Fifis neueste Nachrichten nachzudenken.
Guillards Leiche war in die Gerichtsmedizin nach Paris überführt worden. Der Staatsanwalt und Richter Calvini hatten eine Hausdurchsuchung in Neuilly angeordnet, bei der man nichts gefunden hatte – was Passan durchaus nicht verwunderte. Als Nächstes plante man, jede einzelne Werkstatt und vor allem die Büros der Holding zu durchsuchen. Aber auch da gab Passan sich keiner Illusion hin.
Ironischerweise gründete sich die posthume Anklage gegen Guillard nicht etwa auf den Mord an vier Frauen, sondern auf die versuchte Tötung eines hohen Polizeibeamten. Außerdem stützte sich die Staatsanwaltschaft momentan ausschließlich auf Passans Zeugenaussage. Mit anderen Worten – klar war noch gar nichts. Was zum Beispiel hatte Passan in Guillards unmittelbarer Umgebung zu suchen gehabt? Immerhin durfte er sich dem Autohändler höchstens auf zweihundert Meter nähern. Hatten sie sich verabredet? Hatte Passan Guillard herbestellt? War es überhaupt möglich, dass der schwerstverletzte, sterbende Autohändler noch Benzin in Passans Gesicht speien konnte?
Fest stand, dass die Fabrikhalle, in der man Guillard und Passan gefunden hatte, keinerlei brennbare Substanzen enthielt. Die Sache musste also geplant gewesen sein. Aber wer hatte die Falle gestellt? Im Augenblick tendierte man noch zu Passans Version – seine Verbrennungen wurden für glaubwürdig gehalten.
Hier stand das Wort des Überlebenden gegen das Schweigen des Toten.
Was den ungebetenen Besucher in der Villa anging, so gab es nichts Neues zu vermelden. Die Nachforschungen zum Handel mit Kapuzineraffen hatten nichts ergeben. Zur Technik von Blutentnahmen oder zur Möglichkeit, dass ein »Blutdieb« schon einmal an einem anderen Ort zugeschlagen hätte, ebenfalls nicht. Auch die Spurensuche im Haus hatte keine Ergebnisse gebracht. Hinsichtlich der DNA-Analysen wäre Passan jede Wette eingegangen, dass man außer den Spuren seiner eigenen Familie höchstens noch die des Kindermädchens Gaia finden würde.
»Habe ich dir mal erzählt, dass ich Joe Strummer, dem Gitarristen von Clash , über den Fuß gefahren bin?«
Passan schaltete auf Durchzug. Fifi redete weiter, aber sein Chef hörte nicht mehr zu.
Gegen eins, zwischen zwei Schlafphasen, hatte er mit Naoko telefoniert. Sie hatte die Kinder zur Schule gebracht und war zur Arbeit gegangen wie jeden Tag. Dass zwei
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