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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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93. Departement. Seltsamerweise benutzte er nicht den Boulevard Périphérique, sondern zog es vor, die Seine zu überqueren und in einem weiten Bogen Richtung Westen zu fahren. Passan bemühte sich, in möglichst gleichbleibendem Abstand zu folgen. Die geruhsame Fahrweise zerrte an seinen Nerven.
    Er konzentrierte sich auf die Straße. Die weite Ebene der Vorstadt war hier allenfalls zu erahnen. Unsichtbare Fabriken stießen helle, fast silbrige Rauchwolken aus, die eigenartige Zeichen in den dunklen Himmel kringelten.
    Guillard verließ die Ringautobahn und folgte dem D 986, der direkt nach Saint-Denis führte. Erneut überquerten sie die Seine. Plötzlich gab Guillard Gas. Er verließ die Hauptstraße und tauchte in ein Gewirr kleiner Sträßchen ein. Passan folgte ihm, fragte sich aber, ob der Autohändler ihn entdeckt hatte.
    Bogenlampen huschten über seinen Kopf hinweg. Guillard bog ab, gab Gas und bog erneut ab. Aber er raste nicht blindlings davon wie jemand, der einen Verfolger abzuhängen versucht. Ganz präzise folgte er einem bestimmten Weg.
    Passan bemühte sich nach wie vor um einen gewissen Abstand. Noch wollte er nicht entdeckt werden. Ihm blieb keine Zeit mehr, Straßenschilder zu lesen oder sich zu orientieren. Mit einem Mal durchzuckte ihn der Gedanke, Guillard könne ihn mitten zwischen den feindselig wirkenden Wohnsilos abhängen und verschwinden.
    Sie fuhren an Reihenhaussiedlungen aus Kalkstein und kleinen Geschäften entlang. Alle Fensterläden waren geschlossen wie eiserne Augenlider. Verwaltungsviertel warteten mit modernen und doch schon längst überholten Gebäuden auf.
    Als Nächstes kamen die geraden, leeren Straßen, die zu Lagerhäusern, Fabriken und Hangars führten. Guillard hatte auf hundert Stundenkilometer beschleunigt. Ampeln beachtete er jetzt nicht mehr. Passan folgte ihm mit ausgeschalteten Scheinwerfern. Die Straßenlaternen sorgten für ausreichend Helligkeit.
    Wieder veränderte sich die Umgebung. Unbebautes Gelände. Industriebrachen. Guillard bog nach links ab und verschwand in einer Staubwolke. Hier war die Straße nicht mehr asphaltiert. Hastig schlug Passan das Lenkrad ein, geriet ins Schleudern, fing sich wieder. Er behielt seine Geschwindigkeit bei, obwohl er so gut wie nichts mehr sehen konnte.
    Plötzlich trat er heftig auf die Bremse. Um Haaresbreite wäre er mit dem Mercedes zusammengestoßen, der weiß vor Staub quer auf dem Weg stand. Passan stieg aus, ließ den Motor des Subaru aber laufen. Mit der Glock in beiden Händen näherte er sich langsam Guillards Fahrzeug. Tausend Möglichkeiten schwirrten ihm durch den Kopf. Hatte Guillard die Kontrolle über seinen Wagen verloren? War er gegen ein Hindernis geprallt? Oder ohnmächtig geworden?
    Die Tür des Mercedes stand weit offen. Der Innenraum war leer.
    Langsam legten sich die Staubwolken ringsum. Passan erkannte eine Umzäunung, hinter der ein Gebäudekomplex lag, der entfernt an das Centre Pompidou erinnerte. Nur mit mehr Eisen, Feuer und Rauch. Ein ungeheures Hämmern war zu hören. Ein Pulsieren, das aus der Erde zu quellen und unmittelbar in jeden Nerv einzudringen schien. Passan begriff, dass der Kampf verlagert wurde.
    Guillard ging bereits auf das hell erleuchtete Ungetüm zu.
    Passan steckte die Waffe ein und machte sich daran, das Gitter zu erklimmen. Als er auf der anderen Seite ankam, hatte die riesenhafte Anlage mit ihren Rampen, Schornsteinen und Silos Guillard verschlungen.
    Passan ging über den dröhnenden Boden auf die Fabrik zu. Trotz seiner Eile musste er vorsichtig sein. Überall waren Brombeerranken, Müll und Schlaglöcher, die ihm den Weg versperrten.
    Guillard war nirgends zu sehen.
    Ein metallisches Kreischen näherte sich zu seiner Linken. Es war ein Zug – eine Reihe leerer Förderwagen, die über die mit Gras überwucherten Gleise holperten. Passan ließ ihn vorbei und rannte weiter. Das Werk war nur noch hundert Meter entfernt. Flammen züngelten in den Nachthimmel. Die Schornsteine sahen aus wie rauchende Ruinen. Die an den Türmen und Tanks angebrachten Lichter schienen Signale ins All auszusenden. Und über allem hing dieser ununterbrochen dröhnende Rhythmus: bom-bom-bom-bom …
    Plötzlich tauchte Guillard auf einer Treppe auf, die sich spiralförmig an einem der Silos hinaufschlängelte. Mit seinem schwarzen Anzug und dem bleichen Schädel sah er aus wie ein Priester auf dem Weg zur Kanzel. Selbst auf diese Entfernung fiel Passan eine Einzelheit auf: Guillard trug

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